Österreich nach der Wahl:"Sieg für den Mythos Haider"

Wie geht es in Österreich nach dem Rechtsruck weiter? Der Politologe und Haider-Experte Anton Pelinka über die Zukunft der Alpenrepublik, den Erfolg der Rechten und das Paradoxon der Wahl.

W. Jaschensky

Anton Pelinka ist Professor für Politikwissenschaft und Nationalismusstudien an der Central European University in Budapest. Von 2004 bis 2006 war er Dekan der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Innsbruck. Pelinka forscht unter anderem zum Thema Nationalismus und ist Autor eines Buches über Jörg Haider.

Österreich nach der Wahl: Sein Mythos verhalf ihm zum Sieg: Jörg Haider.

Sein Mythos verhalf ihm zum Sieg: Jörg Haider.

(Foto: Foto: Reuters)

sueddeutsche.de: Österreich ist bei der Nationalratswahl nach rechts gerutscht. Knapp 30 Prozent der Wähler haben eine rechtsradikale Partei gewählt. Wie erklären Sie das?

Anton Pelinka: In Österreich herrscht ein Gefühl der Zukunftsangst, das viele erfasst hat. Der auslösende Moment aber war das Versagen der großen Koalition, die sich eineinhalb Jahre lang primär mit internen Zwistigkeiten aufgehalten hat.

sueddeutsche.de: Der Protest gegen die große Koalition kam ausschließlich den Rechten zu Gute.

Pelinka: Richtig. Es hat ja auch andere Angebote gegeben. Doch die Grünen stagnieren, die Liberalen sind wieder nicht in das Parlament gekommen. Das heißt, das Protestmotiv geht ausschließlich nach rechts außen und das sagt sehr viel aus über die Befindlichkeit der österreichischen Gesellschaft.

sueddeutsche.de: Sind die Menschen zwischen Vorarlberg und dem Burgenland nationalistischer oder fremdenfeindlicher als die Bürger anderer europäischer Staaten?

Pelinka: Ich bin mit Generalisierungen vorsichtig, aber es fällt natürlich auf, dass in keinem anderen Land der EU zwei Parteien, die im europäischen Vergleich als rechtsextremistisch zu bezeichnen sind, fast 30 Prozent der Stimmen bekommen können. Das sagt schon etwas aus.

sueddeutsche.de: Jörg Haiders Bündnis Zukunft Österreich erreichte als Partei ohne Struktur und fast ohne Programm elf Prozent der Stimmen. Steht nur Haider für diesen Erfolg?

Pelinka: Ich würde sagen: Wesentlich der Mythos Haider. Allerdings ist das BZÖ bei näherer Betrachtung vor allem ein Kärntner Phänomen. Außerhalb von Kärnten und Teilen der Steiermark ist das BZÖ eine Kleinstpartei. In Kärnten hat Haider seine Alpenfestung und von dort aus hat er überraschend stark die Bundespolitik beeinflussen können.

sueddeutsche.de: Wird sich die Partei dauerhaft etablieren oder kommt es zu einer Vereinigung von FPÖ und BZÖ?

Pelinka: Das ist eine der vieldiskutierten Fragen. Zusammen wären sie auf Augenhöhe mit der Sozialdemokratie im Streit um die Führung im Parteiensystem. Und es läge auch eine Lösung auf der Hand - nämliche eine Art CDU/CSU-Modell: Die FPÖ überlässt dem BZÖ Kärnten und das BZÖ tritt ausschließlich dort an.

sueddeutsche.de: Ist das unter den verstrittenen Parteispitzen Strache und Haider überhaupt denkbar?

Pelinka: Das ist heute schwer zu sagen. Das Zerwürfnis zwischen den beiden ist ein Fakt, ihr Machtwille aber auch.

"Sieg für den Mythos Haider"

sueddeutsche.de: Die FPÖ wurde einst von Altnazis gegründet. Am Sonntag gab fast jeder fünfte seine Stimme der FPÖ. Wer wählt diese Partei?

Pelinka: Eher Männer. Die FPÖ ist die einzige Partei in Österreich, die deutlichen mehr von Männern als von Frauen gewählt wird. Außerdem sind die Wähler der FPÖ im Durchschnitt schlechter gebildet. Die FPÖ ist sicher mehr Proletarierpartei als die Sozialdemokratien. Und das ist kein rein österreichisches Phänomen. In Frankreich ist der Front National sehr stark eine Arbeiterpartei geworden - vor allem zu Lasten der Kommunistischen Partei. In Österreich ist die gleiche Entwicklung zu Lasten der Sozialdemokratie zu beobachten. Außerdem sind die Wähler im Durchschnitt relativ jung. Berufsschulabsolventen etwa, die Angst vor der Zukunft haben. Für die ist auch Migration und Zuwanderung ein Thema, mit dem sie mobilisiert werden können - da konzentrieren sich ihre Ängste.

sueddeutsche.de: Mit der Wahl wurde die These von Altkanzler Wolfgang Schüssel widerlegt, man könne die Rechten mit einer Regierungsbeteiligung langfristig schwächen. Gleichzeitig konnte auch die große Koalition eine Stärkung der Rechten nicht verhindern. Was können die gemäßigten Kräfte in Österreich tun, um die Rechte zu schwächen?

Pelinka: Sicherlich gibt es da kein Rezept, aber ich meine doch, eine offensivere Politik, die die Rechten stärker direkt mit Themen konfrontiert, würde sehr helfen. Beispiel Europa. Hier dürfen ÖVP und SPÖ nicht immer ängstlich ausweichen. Damit überlassen sie den Rechten das Feld. Oder Thema Migration: Hier müsste eine vernünftige, gesteuerte Einwanderungspolitik betrieben werden, statt eine faktische Migration zuzulassen, die anarchisch und chaotisch ist.

sueddeutsche.de: Die SPÖ und ihre Spitzenkandidat Werner Faymann verlor trotzt massiver Unterstützung der Kronen-Zeitung an Zustimmung, ist aber immerhin stärker als die ÖVP. Dürfen sich die Sozialdemokraten als Wahlsieger fühlen?

Pelinka: Ich hoffe, dass sie das nicht wirklich tun. Das war schon 2006 der Beginn des Scheiterns. Die Sozialdemokratie ist ja von der ÖVP abhängig. Das ist ja das Paradoxon der Wahl, dass die Partei, die am eindeutigsten Verliererin ist, nämlich die ÖVP, strategisch im Zentrum der zukünftigen Ereignisse sitzt. Denn ohne ÖVP wird fast nichts gehen. Entweder entschließt sie sich, doch in die große Koalition zu gehen. Oder sie macht es wie Schüssel nach der Wahl 1999 und koaliert mit den Rechten. Dem steht freilich entgegen, dass ÖVP-Chef Wilhelm Molterer eine Koaltion mit der FPÖ ausdrücklich ausgeschlossen. Dem könnte die ÖVP aber entgehen, wenn sie Molterer absägt.

sueddeutsche.de: Molterer müsste aber wohl auch gehen, wenn es zu einer großen Koalition kommen soll.

Pelinka: Vermutlich. Aber nicht wegen der SPÖ, sondern weil er als beschädigter Parteivorsitzender nicht mehr zu retten ist.

sueddeutsche.de: Die Wähler würden sonst fragen, warum die ÖVP zuvor nach Neuwahlen gerufen hat.

Pelinka: Genau.

sueddeutsche.de: Was muss die große Koalition tun, um nicht so zu scheitern wie die letzte?

Pelinka: Sie braucht neue Gesichter, auch mit neuen Funktionen. Die Ministerien müssen ja nicht immer im Besitz einer bestimmten Partei bleiben. Es könnte zum Beispiel eine sozialdemokratische Finanzministerin und einen sozialdemokratischen Außenminister geben. Oder einen ÖVP-Justizminister. Das wäre ein Signal, dass man nicht einfach weitermachen will, wie bisher. Das Zweite wäre ein Regierungsprogramm, das nicht nur den Erfolg der jeweils anderen Partei verhindern möchte.

sueddeutsche.de: Wer wird der neue Bundeskanzler Österreichs?

Pelinka: Faymann - oder jemand anderer. Nicht Molterer.

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