Österreich nach der Regierungsbildung:Heimat großer Töne

Eine große Koalition, die nichts Großes an sich hat, und ein sozialdemokratischer Kanzler unter einer ÖVP-Regierung - vom Zustand der Alpenrepublik.

Ein Gastbeitrag von Alfred Dorfer

Nun haben wir also diese Koalition, die entgegen ihrem Namen nichts Großes an sich hat. Der Proporz, der das Land in allen Bereichen durchdringt und Qualifikation für ein politisches Amt zur vernachlässigbaren Größe macht, feiert fröhliche Urständ.

Die SPÖ, zwar als Erste, nicht aber als Wahlsieger aus dem Urnengang hervorgegangen, wertet die geringeren Verluste als Zuspruch. Rein arithmetisch war eine Zweierkoalition nur mit der wider Erwarten schwer geschlagenen ÖVP oder mit der drittstärksten Kraft, den Nichtwählern, möglich.

Letzteres wäre aber de facto schwer umzusetzen gewesen. Die Nichtwählerpartei war zwar ohne klar ersichtliches Programm angetreten, was sie auf den ersten Blick von allen anderen Wahlwerbern nicht wesentlich unterschied, und wurde dafür mit satten 25 Prozent Zustimmung belohnt.

Auch ihre Taktik, ohne Spitzenkandidaten anzutreten, wurde angesichts der Konkurrenz offensichtlich nicht als Nachteil angesehen. Gleichwohl blieb der SPÖ in Wirklichkeit nur das Bündnis mit der ungeliebten ÖVP. Wobei ,,ungeliebt'' noch euphemistisch ist, betrachtet man den Wahlkampfstil und den Umgang miteinander nach der Wahl.

Hier ist ein kleiner Ausflug in die Diskursfähigkeit des Österreichers angesagt. Man meint zwar gerne in Österreich, doch lieber noch lässt man meinen. Offene Meinungsäußerung, ein demokratisches Grundrecht, wiegt hier nicht so viel wie das vertrauensvolle Übertragen des Gemeinten an einen Klassensprecher.

Noch besser, der Klassensprecher meint vor, und man meint quasi nach. Diese Nachmeinung ist im Grunde das, was man hierzulande gerne mit eigener Meinung verwechselt, und so entsteht in einem Land ohne Selbstvertrauen dann doch so etwas wie Identifikation.

Wir mögen die Freiheit der Meinung, besonders dann, wenn sie frei von Argumenten ist, was natürlich ein Höchstmaß an Flexibilität entstehen lässt. Diese kann nun ähnlich wie das Licht in zweierlei Gestalt auftreten, einerseits als Kunst der Improvisation, andererseits aber auch als Haltungslosigkeit. Nun ist Haltung aber für die Diskursfähigkeit entscheidend, zumindest, was die Startposition angeht.

Sollte sie fehlen, ist nur Meinungskampf mit Untergriffen oder Schweigen möglich. Der schweigsame Wahlkampf ist leider noch nicht erfunden, also bleibt nur das übrig, was man in Österreich für politische Kultur hält. Die neue Regierung wird eine Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre beschließen, was die Frequenz der Meinungsmöglichkeit noch weiter reduziert.

Gebrochene Wahlversprechen

Zurück zum Aktuellen: Alfred Gusenbauer, der neue Kanzler, fiel quasi im Liegen um und vergaß alle Wahlversprechen. Seine Versprechen, den überflüssigen Eurofighter wieder abzubestellen, die Studiengebühren abzuschaffen sowie einen eigenen Kunstminister zu ernennen - nichts von alledem hielt seiner ,,Kompromissbereitschaft'' stand.

Das oberste Verhandlungsziel war die Erfüllung seines Kanzlertraums, den er angeblich schon seit Sandkastenzeiten hegt. Leider steht am Ende jedes Traums das Erwachen, in diesem Fall jenes der SPÖ-Wähler, die ihrerseits in berührender Naivität von einem Kurswechsel träumten.

Die ÖVP war hier taktisch geschickter, machte keine Wahlversprechen, setzte bloß auf das Charisma von Wolfgang Schüssel. Das klingt satirisch und könnte als Widerspruch in sich gewertet werden, in Wirklichkeit war es aber nur Ausdruck verlorener Bodenhaftung.

Die Volkspartei, die eine Regierung ohne ihre Beteiligung eigentlich als undemokratisch betrachtet und wie in vergangen geglaubten, feudalen Strukturen gerne gnädig über die Legitimation durch das Volk hinwegsieht, ist trotz verlorener Wahl Sieger der Koalitionsverhandlungen. Sie erhielt nicht nur zahlreiche Schlüsselressorts, wie Innen- Außen oder Finanzministerium, auch das Koalitionsprogramm trägt, wie Schüssel in der für ihn typischen Süffisanz sagte, ,,ÖVP-Handschrift''.

Heimat großer Töne

Österreich hat nun also einen sozialdemokratischen Kanzler unter einer ÖVP-Regierung. Für die Zukunft bedeutet das im Wesentlichen eine Fortsetzung der bisherigen Regierungspolitik mit leichten Korrekturen von SPÖ-Seite, die angeblich der sozialen Kälte entgegenwirken.

Das Casting der neuen Minister liest sich bereits wie das ,,Who's who'' der leeren Versprechungen. Aus der Not wurde zwar keine Tugend, dafür ein noch größeres Regierungsteam gemacht. Einige illustre Erscheinungen wie zum Beispiel der bisherige Finanzminister Grasser werden nicht mehr dabei sein, was aber nur für Kabarettisten einen Verlust darstellt.

Aus dieser Sicht auch schade um seine Gemahlin Fiona Swarovski, die im Haushalt offenkundig für die Meinungsbildung zuständig ist, und so kongenial mit Grasser die Operette wieder in die hohe Politik brachte. Auch die zurückgetretene Bildungsministerin Gehrer bewies, dass man nicht unbedingt gebildet sein muss, um Bildung erfolgreich zu verhindern. Jeder Abgang hinterlässt eine Lücke, in ihrem Fall ist es eine Bildungslücke.

Lebenslanger Kanzlerträumer

Zuletzt sei nochmals Wolfgang Schüssel erwähnt, auch ein lebenslanger Kanzlerträumer, dessen Traum endlich erfüllt worden war durch die gute Fee Jörg Haider. Ironie der Geschichte, dass nun beide, die sich einst gemeinsam im Porsche ablichten ließen, am politischen Pannenstreifen geparkt werden. Gemischte Gefühle hingegen bei der Opposition.

Zu spät lassen die Grünen, die stets Berührungsängste mit Inhalten zeigten, die Möglichkeit einer gemeinsamen Minderheitsregierung anklingen. Wohl wissend, dass die Oppositionsparteien angesichts der mit Verfassungsmehrheit ausgestatteten zukünftigen Regierung im Parlament nur mehr von marginaler Bedeutung sein werden.

Für eine andere Kleinpartei, die FPÖ, erscheint aber bereits ein Silberstreif am Horizont. Aus der Geschichte wissen wir, dass die große Koalition bloß Stagnation und Unzufriedenheit fördert. Die FPÖ war stets die Partei der enttäuschten Reaktion, der Vereinfachung von komplizierten Sachverhalten und Meisterin im Auffinden von Schuldigen. Der geeignetste Schuldige kommt immer von außen und muss quantitativ relevant sein.

So wurde die FPÖ in bester Tradition bei einer anderen Weltreligion fündig. Der Islam leistet hier gute Dienste, eine differenzierte Auseinandersetzung mit ihm wäre nicht im Sinn der Sache. Es lässt sich gemütlich leben in der Antithese, und wieder ist man - ganz österreichisch - ums eigene Denken herumgekommen.

Alfred Dorfer, 45, ist Schriftsteller, Kabarettist und Schauspieler. Er lebt in Wien.

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