Lisa-Maria Kellermayr war eine besondere Hausärztin. „Eine außergewöhnliche Diagnostikerin“ nennt sie eine frühere Mitarbeiterin. Die oft auf Fortbildungen fuhr und Dinge in den Blick nahm, auf die andere nicht kamen. Die Tochter einer Patientin sagt, ihre betagte und kranke Mutter hätte ohne Kellermayr nicht so lange gelebt.
Lisa-Maria Kellermayr war aber auch eine Ärztin, die in einer besonderen Zeit ihre Praxis eröffnete. Während der Corona-Pandemie nämlich. Einer Zeit, in der medizinisches Personal nicht nur einem kräftezehrenden Arbeitspensum ausgesetzt war, sondern immer auch Anfeindungen. Vor allem Virologen oder Expertinnen, die sich öffentlich über das Virus oder die Impfung äußerten, wurden von vielen Seiten mit Hass überschüttet.
Auch Lisa-Maria Kellermayr sah es als ihre Aufgabe an, auf Social Media über Corona und später die Impfung aufzuklären. Nachdem sie einen Tweet abgesetzt hatte, in dem sie Maßnahmen-Gegner kritisierte, die eine Demonstration rund um ein Krankenhaus abgehalten hatten, wurde sie zur Zielscheibe von Impfgegnern und Corona-Leugnern. Sie erhielt drastische Morddrohungen und Nachrichten, aus denen hervorging, dass Leute ihre Praxis im oberösterreichischen Seewalchen beobachteten. Im Sommer 2022 war die psychische Belastung so groß, dass sie sich mit 36 Jahren das Leben nahm.
Der Fall hat auch außerhalb Österreichs großes Aufsehen erregt, weil er zeigte, welche Folgen Hass im Netz haben kann. In Wels hat diese Woche ein Prozess begonnen, in dem es um die Frage geht, ob jemand schuld am Suizid der Ärztin ist. Angeklagt ist ein 61-Jähriger aus Starnberg, der Kellermayr mehrere E-Mails geschickt hatte. Darin schrieb er, er werde sie „verfolgen“, bis sie vor „ein Volkstribunal“ gestellt werde, „dann ist es vorbei mit der Freiheit“. Für sich genommen sind diese Mails nicht besonders drastisch. Aber sie führten im Schwall der Morddrohungen, die Kellermayr seit Ende 2021 bekam, dazu, dass die Ärztin sich massiv unter Druck gesetzt fühlte und in Nachrichten immer wieder auch diesen Mail-Schreiber erwähnte. Die Staatsanwaltschaft Wels hat daher Anklage wegen gefährlicher Drohung mit Todesfolge erhoben.
Ob die Staatsanwaltschaft beweisen kann, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen diesen Mails und dem Suizid der Ärztin gibt, wird sich zeigen. Nach zwei Prozesstagen ist klar, wie komplex die Situation ist. Kellermayr hatte seit ihrem 14. Lebensjahr psychische Krisen, sie nahm Medikamente gegen Depressionen und hatte bereits in den Jahren zuvor mehrere Suizidversuche unternommen. Zeugen zeichnen das Bild einer tatkräftigen, aber auch psychisch stark belasteten Persönlichkeit. Suiziden geht, so sagt es die Forschung, „ein multifaktorielles Geschehen“ voraus, und so scheint es auch in diesem Fall gewesen zu sein.
Deutlich wird vor Gericht aber auch, wie vergiftet das gesellschaftliche Klima in den Corona-Jahren war. So sehr, dass Leute im Gesundheitswesen, die versuchten, die Pandemie zu bekämpfen, verbal und körperlich attackiert wurden. So vergiftet auch, dass sich ein 61-Jähriger aus Starnberg mit eigener Firma veranlasst fühlte, einer ihm unbekannten Hausärztin aus Oberösterreich aus dem Nichts heraus Hassmails zu schicken. Insofern trägt dieser Prozess in Wels viel zur Aufarbeitung der Pandemie bei, die ja gerade von so vielen gefordert wird.
Anmerkung der Redaktion: Wir berichten in der Regel nicht über Selbsttötungen. Grund dafür ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen von Suizidgedanken, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de ). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.
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