Österreich:Frontale Attacke auf die Regierung Kurz

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  • Der ehemalige ÖVP-Vorsitzende und Vize-Kanzler Mitterlehner kritisiert den aktuellen Kanzler und Parteichef Kurz deutlich.
  • Mitterlehner attestiert der ÖVP eine "besorgniserregende Entwicklung" und bezeichnet die Flüchlingspolitik der Regierung als "menschenverachtend und zynisch".
  • Eine mögliche Rückkehr aufs politische Parkett lässt er offen.

Von Peter Münch, Wien

Das Blitzlichtgewitter ist er nicht mehr gewohnt, ein wenig steif tritt Reinhold Mitterlehner zur Pressekonferenz in den übervollen Saal. Reichlich bekannte Gesichter, lange nicht gesehen. Vor knapp zwei Jahren hatte sich der heute 63-Jährige aus der Politik verabschiedet. Mit den Worten "Ich finde, es ist genug" warf er den Vorsitz der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und das Amt des Vizekanzlers hin. Doch nun ist er wieder da zur Vorstellung seines Buchs, das den Titel "Haltung" trägt - und dabei wuchtige Vorhaltungen gegen jenen jungen Mann enthält, der ihm damals an der Parteispitze nachfolgte und heute das Land regiert: Sebastian Kurz. Eine Abrechnung also? "Ich sehe es als Klarstellung", sagt Mitterlehner.

Klar und deutlich geht der promovierte Jurist mit Kurz und der von ihm geführten Koalition mit der FPÖ ins Gericht. Von "Mobbing" und "Intrigen" berichtet er, die vor zwei Jahren zum "Umsturz" in der Volkspartei geführt hätten. Von einem schmutzigen Spiel, das alles übertroffen hätte, was er in 30 Jahren Politik erlebt habe. Doch wichtiger noch als Vergangenheitsbewältigung ist ihm eine Warnung: vor dem Rechtspopulismus, der heute in Österreich Regierungspolitik sei.

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Mitterlehner spricht für die alte ÖVP, die heute unter Kurz als "Neue Volkspartei" firmiert und von Schwarz auf Türkis umgefärbt wurde. Natürlich sieht auch er, unter dessen Führung die Partei in den Umfragen auf 20 Prozent abgerutscht war, dass das neue Image auf dem Markt ein Treffer ist: Kurz hat die Wahl gewonnen und genießt weiterhin große Popularität. Doch Mitterlehner nimmt sich nun die Freiheit - "weil auch mein Reservoir an Parteiräson irgendwann ausgeschöpft ist", wie er anmerkt -, nicht nur nach der Vermarktung, sondern nach den Inhalten und Werten zu fragen. Und dort sieht er eine "besorgniserregende Entwicklung von einer offenen pluralistischen Gesellschaft hin zu einer Gesellschaft, die ausgrenzt und geschlossen ist".

Den traditionsbewussten Kräften in der ÖVP geht der Kurz-Kurs gegen den Strich

Was ihn am meisten umtreibt, ist die Flüchtlingspolitik. Mitterlehner nennt sie "menschenverachtend und zynisch", als Beispiel verweist er auf die Aufnahmezentren für Asylbewerber, die in "Ausreisezentren" umbenannt wurden. "Ja, wo sind wir da eigentlich hingekommen", entfährt es ihm. Und wenn er schon einmal dabei ist, die Regierung frontal zu attackieren, dann spricht er auch noch "die Aufweichung der Gewaltenteilung" und "die Kontrolle der Medien" an. Sein Fazit: "Wir gehen in Richtung eines Umbaus des Staats."

Da macht sich einer Luft und hofft, dass daraus vielleicht doch noch ein Sturm entsteht. Als Gesinnungsgenossen verweist er auf den überaus populären Wiener Kardinal Christoph Schönborn, der gleichfalls gerade erst der Regierung in der Asylpolitik in die Parade gefahren ist. Vor allem aber dürfte er auf jene traditionsbewussten Kräfte in der Volkspartei setzen, denen der Kurz-Kurs gegen den Strich geht. Denn nicht umsonst hat Mitterlehner den Termin für diesen Vorstoß auf den 17. April gelegt: "Das ist nicht wegen der Osterpassion", sagt er, sondern weil der 17. April der Gründungstag der österreichischen Volkspartei ist."

Anno 1945 war das, und die ÖVP hat seitdem bereits den 17. Parteichef. Nichts währt hier also ewig, oft nicht einmal lang, und auch Kurz sollte das wissen. Die Frage nach einem eigenen politischen Comeback, die ja auch irgendwie zum Termin in der Osterwoche passt, lässt Mitterlehner kunstvoll offen. "Schaun mer mal." Gern verweist er auf die Vorzüge des neuen Lebens als Unternehmensberater, das ihm mehr Zeit fürs Privatleben mit der Ehefrau und den beiden Töchtern lässt. Und natürlich auch fürs Tarockspielen in dem von der Schwiegerfamilie geführten Gasthaus Haudum in Helfenberg. Fürs Erste also verabschiedet er sich nach der Buchvorstellung von den Journalisten in die oberösterreichische Heimat. "Es freut mich, dass wir uns wieder mal getroffen haben."

© SZ vom 18.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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