Österreich:Verantwortungsloser Trieb zur Selbstdarstellung

Nach dem Sturz von Kanzler Sebastian Kurz wird es in Österreich einen schmutzigen Wahlkampf geben. Vereint zeigen sich die Parteien höchstens in der Lust am Chaos.

Kommentar von Peter Münch, Wien

Skandale entfalten in der Politik oft eine reinigende Wirkung. Es gibt Rücktritte und Aufklärung, Neuanfänge und Besserungsversprechen. Auch in Österreich waren Schock und Scham gebührend groß unmittelbar nach Veröffentlichung des kompromittierenden Ibiza-Videos: Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache trat umgehend zurück, Neuwahlen wurden angekündigt. Doch die Kräfte der Selbstreinigung sind sehr schnell auf allen Seiten überlagert worden von einem verantwortungslosen Drang zur Selbstdarstellung. Das Ergebnis ist ein Scherbenhaufen. Die Politikverdrossenheit in Österreich dürfte wachsen.

In den zehn turbulenten Tagen, die zwischen der Veröffentlichung des Strache-Videos und dem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen die Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz im Parlament lagen, haben - mit dem Bundespräsidenten Van der Bellen als rühmlicher Ausnahme - fast alle Beteiligten persönlichen und parteitaktischen Interessen den Vorrang gegeben vor der Staatsräson. Die Logik dahinter war meist destruktiv: Wer ins Trudeln gerät, sucht keinen sicheren Grund, sondern hält Ausschau danach, wen er noch mit hinabziehen kann. Vereint zeigen sich die Parteien höchstens in der Lust am Chaos. Das ist so kurzfristig gedacht, dass der Horizont des Taktierens am Ende nicht mehr der Wahltag im September, sondern nur noch der nächste Tag gewesen ist.

Der nun gestürzte Kanzler Kurz, der sich in allen Etappen der Krise als Garant für Stabilität und Sicherheit darzustellen versuchte, hat in Wahrheit das verhängnisvolle Primat der Parteipolitik als Erster gesetzt. Gleich beim ersten Auftritt nach Straches Rücktritt schaltete er auf Wahlkampf um. Er kümmerte sich nicht weiter darum, was dieser Skandal für das Land bedeutet und welche Verantwortung er selbst dafür trägt, weil er diese FPÖ in die Regierung geholt hatte. Ihm ging es von Beginn an darum, welchen Vorteil er aus der Krise schlagen und wie er seine Machtbasis bei der Neuwahl verbreitern kann.

Die FPÖ betrieb eine perfide Täter-Opfer-Umkehr

Komplett perfide hat die FPÖ agiert, deren zunächst demonstrierte Demut nach Straches Dummdreistigkeit schnell in eine aggressive Täter-Opfer-Umkehr umgeschlagen ist. Finsteren Kräften aus dem Ausland wird nun ein Angriff auf die Partei, auf die Regierung, auf ganz Österreich unterstellt. Das schließt die Reihen beim harten Kern der Wählerschaft, vertieft aber die Spaltung in der Gesellschaft.

Vermasselt hat ihre Rolle in diesem Staatsdrama schließlich auch noch die oppositionelle SPÖ. Von Beginn an hat sie sich in dieser Krise darauf verlegt, alte Rechnungen mit Kanzler Kurz zu begleichen. Getrieben zeigten sich die Sozialdemokraten dabei von inneren Zerwürfnissen und einem Druck der Funktionäre, der sich offensichtlich abgekoppelt hat vom Wunsch der Wähler. Die erste Quittung dafür hat die SPÖ bereits bei der EU-Wahl bekommen; sie musste trotz des Skandals im gegnerischen Lager sogar Stimmeneinbußen hinnehmen. Schwer vorstellbar ist es, dass sie bei der Österreich-Wahl im September der ÖVP von Kurz gefährlich werden kann.

Die zurückliegenden Chaostage werfen nun schon einen finsteren Schatten auf die langen Monate bis zur Neuwahl. Der Wahlkampf dürfte hart und schmutzig werden. Dabei wäre es eigentlich nun höchste Zeit, wieder einmal daran zu denken, dass dieses Land auch noch regiert werden muss.

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