Vor der Pflicht steht noch ein Termin in elegantem Rahmen: Zur Mittagszeit am Donnerstag werden Sebastian Kurz und Werner Kogler, der künftige Kanzler und sein Vize, erst einmal bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Wiener Hofburg vorstellig. Kurz, der junge Konservative von der ÖVP, hat sich eine Krawatte umgebunden. Der sonst gern hemdsärmelige Grünen-Chef Kogler trägt immerhin ein Jackett, vor allem aber trägt er eine auffällig grüne Mappe mit sich. Die beiden wollen dem Staatsoberhaupt ihr Verhandlungsergebnis vorstellen. Erst danach präsentieren sie um 16 Uhr der Öffentlichkeit die Details ihres Regierungsprogramms. Die Koalition aus konservativer Volkspartei und Grünen - ein Novum in der österreichischen Geschichte - haben sie dabei unter das Motto gestellt: "Aus Verantwortung für Österreich".
Das klingt nach einer sehr sachlichen Zweckbeziehung, und die erfordert viel Detailarbeit. 326 klein bedruckte Seiten umfasst das nun vorgelegte Regierungsprogramm für die nächsten fünf Jahre. Die frühere ÖVP-FPÖ-Regierung hatte sich 2017 noch mit schlanken 180 Seiten begnügt. Doch damals waren sich die beiden Parteien in den meisten Punkten sowieso einig, während bei ÖVP und Grünen seit Beginn der Verhandlungen nach der Wahl am 29. September das Mantra geherrscht hatte: Brocken wegschaffen und Brücken bauen. Die Parteichefs haben dabei ganze Arbeit geleistet. Zwar könnten die beiden auch im Auftreten kaum gegensätzlicher sein. Hier der auf Perfektion getrimmte junge Kurz, der stets druckreif seine Slogans unters Volk bringt. Dort der leicht ergraute grüne Polterer mit einem Hang zur ausschweifenden Welterklärung. Doch die monatelangen Verhandlungen haben sie offenkundig so weit zusammengebracht, dass der gegenseitige Respekt spürbar ist. Bei aller Einigkeit ist dennoch eine letzte Hürde zu überwinden. Die Grünen müssen vor ihrem Eintritt in die Regierung das Koalitionsabkommen mit der ÖVP am Samstag in Salzburg noch von den knapp 300 Delegierten eines Bundeskongresses billigen lassen. Ernsthaft erwartet allerdings niemand, dass die Basis ihren Parteichef Kogler im Regen stehen lässt. Schließlich ist ihm die Partei zu großem Dank verpflichtet. Nachdem die Grünen nach vielen inneren Querelen 2017 aus dem Parlament geflogen waren, hat Kogler sie übernommen und pragmatisch ausgerichtet - und er ist damit erfolgreich gewesen. Engen Austausch pflegt er dabei auch mit den deutschen Grünen. Sein Koalitionsprojekt mit den Konservativen sieht er ausdrücklich als "Vorbild für Europa".
Österreich:Dieses Duo könnte Vorbild für eine schwarz-grüne Koalition sein
Ein junger Konservativer regiert, sein Vater ist Juniorpartner und altgedienter Grüner: Worauf Österreich auf Bundesebene zusteuert, lebt Familie Mair im kleinen Eferding seit Jahren.
Österreich will bis 2040 klimaneutral sein
Doch an Kompromisse, die fürs Mitregieren nötig sind, müssen sich die Grünen wohl erst einmal gewöhnen. "Das mag da oder dort schmerzlich sein für den einen oder anderen", erklärt Kogler. "Im Schmerz verbunden" hätte folglich auch als Motto über dem Koalitionsabkommen stehen können. Doch das wäre dann wohl doch zu negativ gewesen angesichts all dessen, was die beiden Parteien sich vorgenommen haben für die nächsten fünf Jahre.
Für die Grünen geht es dabei vor allem um ein Umsteuern in der Klimapolitik. "Österreich soll zum europäischen und internationalen Vorreiter in der Klimapolitik werden", kündigt der Grünen-Chef an. Im Klima-Kapitel, auf das sich beide Seiten geeinigt haben, steht zwar explizit nichts von einer CO₂-Steuer, aber der CO₂-Verbrauch soll teurer werden, unter anderem mit einer Flugticketabgabe in Höhe von zwölf Euro sowie einer "Ökologisierung" der Pendlerpauschale und der Lkw-Maut. Vorgabe: Wer viel ausstößt, zahlt mehr. Bis 2030 soll der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen kommen, bis 2040 will Österreich klimaneutral sein. Milliarden sollen in den öffentlichen Verkehr investiert werden.
Auf der Haben-Seite verbuchen die Grünen auch ein Transparenz-Paket, das unter anderem dem Amtsgeheimnis ein Ende setzen soll. "Wir wollen keine gläsernen Bürger, wir wollen einen gläsernen Staat", heißt es dazu im Regierungsprogramm. Der Rechnungshof bekommt bei den Parteifinanzen künftig wirksame Kontrollbefugnisse. Das Thema war in den Fokus gerückt durch das von Süddeutscher Zeitung und Spiegel veröffentlichte Ibiza-Video, in dem der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache über Parteispenden "am Rechnungshof vorbei" schwadronierte.
"Verfassungswidriges und menschenrechtsfeindliches Treiben"
Die Handschrift der ÖVP wird dagegen sehr deutlich in den Bereichen Asylpolitik und innere Sicherheit. Kurz propagiert hier weiterhin den "konsequenten Kampf gegen die illegale Migration und den politischen Islam". Ebenfalls aus den Zeiten seiner Koalition mit der FPÖ herübergerettet hat er das Vorhaben eines Kopftuch-Verbots für Schülerinnen bis 14 Jahre. Die von den Grünen früher kritisierten Deutschförderklassen sollen bleiben, aber besser ausgestattet werden. Besonders brisant ist das Beharren der ÖVP auf einer vorbeugenden Sicherungshaft für sogenannte Gefährder. Kogler hatte solche Pläne früher als "verfassungswidriges und menschenrechtsfeindliches Treiben" gegeißelt. Da prallen Welten aufeinander, und die Grünen müssen Biegsamkeit beweisen. Weit einfacher ist es da, Wohltaten zu verteilen wie beim Familienbonus, einem Steuerfreibetrag, der erhöht wird. Oder auch mit der von der ÖVP im Wahlkampf versprochenen Steuerreform, bei der die ersten drei Steuerstufen abgesenkt werden sollen. Die Bekämpfung von Kinder- und Altersarmut hat sich die Regierung ebenfalls auf die Fahnen geschrieben.
Es sind solche positiven Botschaften, die von der neuen Koalition nun vorrangig an die Bürger ausgesendet werden. Von "Minimalkompromissen" will Kurz nichts wissen. Er sieht im Koalitionsvertrag "das Beste aus beiden Welten". Kogler beschwört "die große Versöhnung von Ökologie und Ökonomie".
Mit diesem Anspruch fährt der Grünen-Chef nun nach Salzburg, um sich die Zustimmung des Bundeskongresses zu sichern. Danach steht dann wieder ein Termin in der Hofburg an beim Bundespräsidenten. Am nächsten Dienstag soll die neue Regierung dort "angelobt", das heißt vereidigt werden. In Österreich brechen dann türkis-grüne Zeiten an.