Österreich:Neustart in Wien

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Nach Kurz und Schallenberg soll Innenminister Nehammer österreichischer Bundeskanzler werden. (Foto: Roland Schlager/Afp)

Der jetzige Innenminister Karl Nehammer soll Österreichs Bundeskanzler werden. Er steht unter anderem für eine harte Haltung gegen illegale Migration.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Karl Nehammer trat gegen Viertel vor zwölf am Mittag in der Politischen Akademie der ÖVP vor das Land und die Presse - am selben Ort mithin, wo sein Vorvorgänger Sebastian Kurz am Tag zuvor seinen Abschied aus der Politik verkündet hatte. Und der Unterschied war groß: Kurz hatte, scheinbar unbeeindruckt von einer Situation, die doch eine herbe Niederlage für ihn sein musste, sechzehn Minuten lang über sich, seine Erfahrungen und seine Enttäuschungen gesprochen.

Nehammer wirkte anfangs durchaus nervös, er ließ nach seiner Rede Fragen zu, er sprach weniger über sich und die neue Aufgabe als über die Pandemie. Und er nutzte den ersten Auftritt als designierter Bundeskanzler, um - höflich, aber unmissverständlich - an jene Landsleute zu appellieren, die Freiheit mit Egoismus verwechselten und sich dadurch, dass sie die Covid-Impfung verweigerten und zunehmend aggressiv demonstrierten, als unsolidarisch, als Gefahr für andere erwiesen. In seiner alten Rolle als Innenminister hatte er Ähnliches gesagt. Als Bald-Kanzler machte er sich damit zumindest bei einem Teil der Wähler gleich mal ein wenig unbeliebt.

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Der geplante Wechsel von Kurz über dessen Platzhalter Alexander Schallenberg hin zu Nehammer war schon wenige Stunden nach der Erklärung des bis dahin amtierenden Partei- und Klubchefs Kurz aus der ÖVP nach außen gedrungen. Nötig geworden war er, weil Ex-Kanzler Kurz unter dem Druck staatsanwaltlicher Ermittlungen wegen möglicher Bestechlichkeit und Untreue, aber auch wegen wachsender Unruhe in der eigenen Partei letztlich das Handtuch warf und nicht mehr auf einer Rückkehr an den Ballhausplatz beharrte. Nehammer galt spätestens als gesetzt, als die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, in deren Parteiorganisation der gebürtige Wiener bei seinem Aufstieg stark gefördert worden war, mitteilte, sie halte ihn für den richtigen Mann.

Nehammer gilt als ungefährdet durch die Justiz - aber auch er hat seine Skandale

Viel Widerstand dürfte es gegen diese Entscheidung, die der Parteivorstand am Freitagmorgen einstimmig fällte, ohnehin nicht gegeben haben. Nehammer, gelernter Soldat mit einem Master in politischer Kommunikation, gilt in der Führungsreserve der ÖVP als kompetent sowie, derzeit besonders wichtig, ungefährdet durch die Justiz. Er hatte zwar mit Kurz eng zusammengearbeitet und diesen offenbar auch bewundert; gegen ihn wird aber derzeit nicht ermittelt, und er galt auch nie als purer Erfüllungsgehilfe der türkisen Strategen. Nehammer hat seine eigenen Skandale - eine rechtlich fragwürdige und ergebnislose Razzia gegen Muslimbrüder, Abschiebungen gut integrierter Schülerinnen, einen in der Terrorabwehr versagenden Verfassungsschutz, der erst nach dem Anschlag in Wien im Jahr 2020 umgebaut wurde. Aber: Karl Nehammer, 49, hat auch einen eigenen Kopf.

Spekuliert wurde daher in den Medien und bei der politischen Konkurrenz vor allem darüber, wie groß der Kabinettsumbau ausfallen würde - und wie viele von den Kurz-Adlaten würden gehen müssen. Vor allem die Namen mehrerer Frauen waren gefallen: Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger wackelte, Integrationsministerin Susanne Raab und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck ebenso; alle drei gelten als schwache Ministerinnen. Letztlich durften aber alle drei bleiben. Ausgetauscht wurde stattdessen Bildungsminister Heinz Faßmann, der - offiziell zumindest - freiwillig gegangen sein soll; er wird nun ersetzt durch den Rektor der Universität Graz, Martin Polaschek. Nachfolger Nehammers als Innenminister wird der niederösterreichische Abgeordnete Gerhard Karner, Finanzminister und damit Nachfolger für den am Donnerstagabend per Facebook-Video ebenfalls zurückgetretenen Ressortchef Gernot Blümel wird der bisherige Staatssekretär im Umweltministerium, Magnus Brunner.

Vorgänger Alexander Schallenberg darf zurück ins Außenministerium

Es ist kein ganz großer Befreiungsschlag, den der Kanzler in spe da wagt - vielleicht, weil mitten in der Pandemie allzu viele neue Gesichter auch viel Unsicherheit bedeuten, vielleicht, weil Nehammer demonstrativ keinen ganz großen Bruch mit der türkisen ÖVP will. Pikant immerhin: Kurzzeit-Kanzler Alexander Schallenberg darf zurück in das Außenministerium, aus dem er kommt. Was aus dem Interimsaußenminister und Diplomaten Michael Linhart wird, der erst vor wenigen Wochen seinen Posten in Paris für das neue Amt geräumt und selbstbewusst noch am Donnerstag betont hatte, er werde Außenminister bleiben, interessierte in der ÖVP am Freitag dann offenbar niemanden mehr so recht.

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Pikant auch: Nehammer schickt den letzten Mann aus dem engsten Kreis um Kurz, Kabinettschef Bernhard Bonelli, fort, den Schallenberg als Bindeglied zu seinem Vorgänger behalten hatte. Stattdessen holt er die gerade mal 26-jährige Oberösterreicherin und Chefin der Jungen ÖVP, Claudia Plakolm, ins Kanzleramt, wo sie Staatssekretärin werden soll.

Der grüne Koalitionspartner, der in den politischen Umbau beim Regierungspartner naturgemäß nicht eingebunden war, zeigte sich gleichwohl erfreut, dass es mit der schwarz-grünen Zusammenarbeit offenbar friktionslos weitergehen solle. Parteichef Werner Kogler betonte die stets gute Zusammenarbeit mit Nehammer, auch wenn man sich über Migrations- und Asylfragen teils bitter gestritten hatte. Vor allem die Abschiebung mehrerer Schülerinnen und ihrer Familien aus Armenien und Georgien hatte im vergangenen Winter das Arbeitsverhältnis zum Innenminister und die Koalition massiv belastet. Letztlich aber halten die Grünen an der Kooperation fest - es ist immerhin das erste Mal, dass sie in Österreich überhaupt in der Regierung sitzen.

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