Süddeutsche Zeitung

Österreich-Kolumne:Noch mehr Glückwünsche für Sebastian

In Wien erwartet man eine Kaltfront - und auch abseits der Meteorologie strahlt Österreichs Regierung derzeit nicht allzu viel Wärme aus.

Von Cathrin Kahlweit

Wenn man nach einem ziemlich verregneten süddeutschen Sommer, der doch weltweit einer der heißesten jemals gewesen ist, nach Wien zurückkommt, und wenn man dann sogleich von einer Kaltfront erwartet wird, die schon den ersten fahrradfeindlichen Schnee bringen soll, dann wird auch das Herz schnell kalt. Die grüne Verkehrsministerin versucht seit Monaten, mit einem bezahlbaren landesweiten Ticket mehr Bürger von der Straße in Zug und Tram zu locken, aber in der Stadt, die sich so viel auf ihre legendär hohe Lebensqualität zugutehält, mag man vorerst nicht mitziehen.

Stattdessen wird über das befürchtete Verkehrschaos rund um den neuen Ikea am Westbahnhof lamentiert, zu dem man doch eigentlich gar nicht mit dem Auto fahren sollte. Und über die Einführung eines flächendeckenden Parkpickerls, weshalb man, wie die ÖVP absurderweise beklagt, nun nicht mehr in der Alten Donau baden oder zum Heurigen gehen könne. Autofans sind auch entsetzt darüber, dass der Bau einer 3,2 Kilometer langen Verbindungsstraße vom Stadtteil Aspern zur Südosttangente für lockere 460 Millionen Euro und eines Tunnels unter dem Nationalpark Donau-Auen für schlappe zwei Milliarden Euro infrage gestellt werden.

Verkehrstechnisch, muss man sagen, gibt es im SPÖ-roten Wien immer noch sehr viele sehr dunkle Flecken. Und auch sonst lässt der aufziehende Herbst nicht viel Hoffnung aufkommen, dass sich so etwas wie Aufbruchsstimmung statt politischen Mehltaus ausbreiten könnte.

Inhaltliche Debatten sind beim ÖVP-Parteitag wohl nicht geplant

Die Grünen lamentieren zwar zunehmend lauter über die Blockadepolitik ihres Regierungspartners ÖVP, der sich vehement gegen den Schutz bedrohter Afghanen verwahrt und mit den ewig gleichen Worthülsen ("2015 darf sich nicht wiederholen", "ein Weiterwinken darf es nicht geben", "wir setzen auf Hilfe vor Ort", "Österreich hat schon viel mehr geholfen als andere Länder") auf Abschiebungen statt Aufnahme setzt. Aber viel mehr als moralische Appelle, die dann auch wieder ziemlich sprechblasig sind ("Ich vermisse bei der ÖVP die notwendige Menschlichkeit" oder "Die Haltung der Kanzlerpartei ist eine Schande"), kommen auch vom kleineren Regierungspartner nicht. Der zieht sich lieber seit anderthalb Jahren darauf zurück, dass man an der gemeinsamen Politik wahlweise nichts ändern oder nur an anderen Stellen etwas ändern könne.

An diesem Samstagnachmittag will sich Kanzler Sebastian Kurz in St. Pölten als Chef der "Neuen Volkspartei" wiederwählen lassen. Und nachdem die staatsanwaltlichen Ibiza-Ermittlungen noch keine Ergebnisse gezeitigt haben, die Arbeitsergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur "möglichen Käuflichkeit" der früheren ÖVP-FPÖ-Regierung in der Sommerpause untergegangen sind und das Image der Türkisen keinen Totalschaden, sondern nur ein paar schwere Kratzer erlitten hat, dürfte das Ergebnis für Kurz ein erfreuliches werden. 98,7 Prozent bekam er beim letzten Mal, dieses Mal dürfte er vor allem zahlreiche Glückwünsche zum 35. Geburtstag an diesem Freitag, zur bevorstehenden Vaterschaft im Herbst - und erneut fast einhundert Prozent der Delegiertenstimmen bekommen.

Inhaltliche Debatten sind auf dem Jubelparteitag nicht vorgesehen. Kurz dürfte in seiner Rede vielmehr Eigenlob für die Bewältigung der Corona-Krise ("Österreich hat die gesundheitlichen Folgen des Virus sehr gut überstanden") und populistische Kritik am Kampf gegen die Klimakatastrophe (" Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte") unterbringen. Auch über Migration wird er sprechen. Was wollen wir wetten, dass er sagt, 2015 dürfe sich nicht wiederholen und ein Weiterwinken dürfe es nicht geben?

Ich wünsche Ihnen einen heiteren Altweibersommer, bevor wieder alle elegisch Rainer Maria Rilke mit seinen Schatten auf den Sonnenuhren und den Winden auf den Fluren zitieren. Auch das schönste Gedicht kann so zur Sprechblase werden.

Diese Kolumne erscheint am 28. August 2021 auch im Österreich-Newsletter, der die Berichterstattung der SZ zu Österreich bündelt. Hier kostenlos anmelden.

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