Österreich-Kolumne:Flüchtige Betrüger

Udo Proksch

Udo Proksch auf dem Weg in den Gerichtssaal am 28. Januar 1991.

(Foto: dpa/DPA)

Unsere Autorin erinnert sich beim Fall des gesuchten Wirecard-Managers Jan Marsalek an eine andere Personalie der österreichischen Kriminalgeschichte: an Udo Proksch.

Von Verena Mayer

Ich habe eine Schwäche für Kriminalfälle, und besonders hat mich die Geschichte des Österreichers Jan Marsalek gepackt. Ihm verdankt die Wirtschaft einen der spektakulärsten Betrugsfälle. Marsalek stand zusammen mit einem Landsmann an der Spitze von Wirecard, jenem Fintech-Unternehmen, das lange als die deutsche Antwort auf Google oder Amazon galt und sich im vergangenen Jahr als gewaltiger Schwindel entpuppte.

Wie meine Kollegen in zahlreichen Artikeln ausgeleuchtet haben, ist Marsalek eine äußerst schillernde Figur. Der Wiener soll keinen Schulabschluss und keinen Führerschein haben, dafür sechs Reisepässe und ausgezeichnete Kontakte, unter anderem zum österreichischen Geheimdienst. Und er unterhielt in der Villa Alfons in der Münchner Prinzregentenstraße eine Art Klubhaus, wo er Ex-Agenten, Militärs, Geldwäscher und Geschäftemacher empfangen hat, wie meine Kollegen rekonstruieren.

Seit Marsalek sich im vergangenen Juni mit einem Privatjet vom Flughafen Vöslau-Kottingbrunn nach Minsk abgesetzt hatte, ist er spurlos verschwunden. Die einen glauben, dass er sich auf den Philippinen versteckt, andere vermuten ihn in Russland. Genaues weiß niemand. Marsalek gehört inzwischen nicht nur zu den meistgesuchten Männern der Welt, seine Geschichte hat auch schon mehrere Filmemacher inspiriert. So erzählte mir der Produzent Nico Hofmann, der gerade an einem Doku-Drama über Wirecard arbeitet, der Fall sei eine "Steilvorlage" für jedes Drehbuch, "bigger than life". (Lesen Sie hier das Interview "Wirecard war eine große Theatershow" aus der Reihe "Reden wir über Geld".)

Ich muss beim Fall Wirecard an eine andere Personalie der österreichischen Kriminalgeschichte denken, den Betrüger Udo Proksch. Proksch, Schulabbrecher und Brillen-Designer, von Zeitzeugen als so charmant wie exzentrisch beschrieben, war Besitzer einer der traditionellsten Wiener Institutionen: der k.u.k-Hofzuckerbäckerei Demel, bekannt für ihre Torten und kandierten Veilchen. Im Hinterzimmer betrieb Proksch den "Club 45", einen Ort, an dem sich die Leute trafen, die im Wien der Siebzigerjahre etwas zu besprechen hatten, vor allem die regierenden SPÖ-Minister.

Proksch war der perfekte Networker. Er hatte schrille Hobbys (Waffen, Partys), berühmte Frauen (eine Burgschauspielerin und eine Wagner-Urenkelin) und vor allem sehr gute Connections in die österreichische Politik, etwa ins Verteidigungsministerium. Die nutzte er, um bizarre Deals auf den Weg zu bringen, so wollte er für das österreichische Bundesheer Panzer aus Pappmaché herstellen, um damit potenzielle Feinde zu täuschen. Dafür bekam er dann auch Sprengstoff, um seine Pseudo-Armee zu testen, sowie ein Flugzeug, als Deko für seinen Vorgarten. 1975 fädelte er dann jenen Betrug ein, der einen der größten Skandale der österreichischen Nachkriegszeit nach sich ziehen sollte. Proksch kaufte ein Frachtschiff namens Lucona, das er vorgab, zum Transport einer Uranerzaufbereitungsanlage zu nutzen, und für 212 Millionen Schilling versicherte. An Bord war aber Sprengstoff, und als das Schiff auf dem Indischen Ozean unterwegs war, explodierte und sank es. Sechs Seeleute starben, sechs weitere konnten sich in letzter Minute retten.

Zwar wurde schnell Versicherungsbetrug in großem Stil vermutet, zu befürchten hatte Proksch aber nichts. 1985 wurde er kurzzeitig verhaftet, dann aber auf Druck aus der Politik schnell wieder freigelassen. Erst Ende der Achtzigerjahre, als Investigativjournalisten den Fall Lucona aufrollten, begannen die Behörden, intensiver zu ermitteln. Proksch setzte sich auf die Philippinen ab, wo er die Diktatorengattin Imelda Marcos kannte und sich das Gesicht umoperieren ließ. 1989 wurde er schließlich auf dem Flughafen Wien-Schwechat verhaftet. Ein jahrelanger Prozess folgte. Er endete nicht nur mit lebenslanger Haft für Udo Proksch wegen sechsfachen Mordes, sondern brachte auch die politischen Verflechtungen ans Licht, die Prokschs Machenschaften erst ermöglicht hatten. Es gab einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, mehrere Politiker mussten zurücktreten.

Das ist lange her, Proksch starb 2001 in Haft, das politische System ist heute ein völlig anderes. Ein Satz von Udo Proksch dürfte aber ein zeitloses Motto für alle Betrüger sein: "I bin dafür, wenn ma einen bescheißen kann, soll ma ihn bescheißen." Vielleicht hat sich davon ja auch Jan Marsalek inspirieren lassen.

Diese Kolumne ist zuerst am 8. Januar 2021 im Österreich-Newsletter erschienen.

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