Österreich:Herbert Kickl scheitert mit Regierungsbildung

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FPÖ-Chef Kickl gab den Auftrag zur Regierungsbildung zurück. (Foto: Michael Gruber/Getty Images)

Der Chef der FPÖ bricht in Österreich die Gespräche mit der ÖVP über eine Koalition ab. Er nennt als Hauptgrund den Streit über die Verteilung von Ministerien. Bundespräsident Alexander Van der Bellen will in den nächsten Tagen  ausloten, wie es nun politisch weitergeht - er spricht von vier Optionen.

Von Verena Mayer

In Österreich sind die Koalitionsverhandlungen zwischen der in Teilen rechtsextremen FPÖ und der konservativen ÖVP gescheitert. Am Mittwochnachmittag teilte FPÖ-Chef Herbert Kickl dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen mit, er lege den Auftrag zur Regierungsbildung nieder. Am Abend nannte Kickl den Streit um Ministerien und Kompetenzen als Hauptgrund für den Abbruch der Gespräche. „Wäre es mir nur darum gegangen, der erste freiheitliche Kanzler zu werden, hätte ich nur die Wähler und meine Prinzipien verraten müssen“. Dazu sei er nicht bereit gewesen. „Ein Volkskanzler muss das Instrument sein, um den Willen der Bevölkerung umzusetzen.“

Damit hat Österreich auch 136 Tage nach der Nationalratswahl noch immer keine Regierung. Zuvor waren Anfang Januar bereits Verhandlungen für eine Dreierkoalition zwischen ÖVP, den Sozialdemokraten und den liberalen Neos gescheitert. Der Bundespräsident verwies darauf, dass die Verfassung nun mehrere Möglichkeiten vorgebe: Zum einen Neuwahlen, die frühestens in einigen Monaten stattfinden könnten. Die Zeit bis dahin würde die Interimsregierung bestreiten, sagte Van der Bellen. Weitere Optionen seien eine Minderheitsregierung und ein Expertenkabinett. Vielleicht gebe es aber auch noch einen Weg, dass sich eine Regierungsmehrheit finde. Van der Bellen kündigte an, er werde in den kommenden Tagen ausloten, welche der Optionen in Betracht kommen. Kickl forderte den Bundespräsidenten auf, rasch Neuwahlen anzusetzen.

Kompromiss als Kulturgut

Der Bundespräsident bedauerte, dass die Bereitschaft zu Kompromissen abhandengekommen sei, die in der Vergangenheit „gute und tragfähige Lösungen“ ermöglicht habe. „Der Kompromiss ist in Österreich ein Schatz, eine Art Kulturgut“, sagte Van der Bellen. Vertreter von SPÖ und Neos boten der ÖVP kurz nach Bekanntwerden des Scheiterns der Koalitionsverhandlungen Gespräche an. Grünen-Bundessprecher Werner Kogler sprach auf der Kurznachrichten-Plattform Bluesky von einer „Chance für Österreich“. Jetzt gebe es erneut die Möglichkeit, eine Regierung ohne Rechtsextreme zu bilden. „Wir Grüne werden uns jedenfalls mit Kompromissfähigkeit, Offenheit und dem Willen, Österreich besser zu machen, einbringen und alles tun, damit eine Regierung ohne Rechtsextreme zustande kommt und diese auch stabil arbeiten kann.“ Karl Mahrer, Obmann der ÖVP Wien, sprach sich in einer ersten Reaktion dafür aus, dass die SPÖ bei neuerlichen Gesprächen einen anderen Chefverhandler als Parteichef Andreas Babler einsetzen müsste.

Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen will in den kommenden Tagen in Gesprächen mit den Parteienvertretern ausloten, ob doch noch eine Regierung zustande kommt oder Neuwahlen angesetzt werden. (Foto: JOE KLAMAR/AFP)

Kickl schreibt an den Bundespräsidenten

In einem Schreiben an den Bundespräsidenten legte Herbert Kickl seine Gründe für den Abbruch der Verhandlungen dar. Er habe versucht, „nach einem straffen Zeitplan schnell zu einer leistungsfähigen Bundesregierung zu kommen“, und sich dabei bereits mit dem ÖVP-Vorsitzenden Christian Stocker auf einen Plan zur Haushaltssanierung geeinigt, um ein drohendes EU-Defizitverfahren abzuwenden. Danach habe man in 13 Untergruppen inhaltliche Verhandlungen begonnen, die jedoch an der Ressortverteilung gescheitert seien. Man habe versucht, der ÖVP „in vielen Punkten“ entgegenzukommen, doch diese Verhandlungen seien zu seinem „Bedauern“ nicht „von Erfolg gekrönt“ gewesen.

Das dürfte allerdings nur ein Teil der Wahrheit sein. In den vergangenen Wochen waren die großen inhaltlichen Differenzen immer stärker zutage getreten, die FPÖ und ÖVP trennten. Die Europapolitik etwa. Während die Konservativen ein klares Bekenntnis zur EU einforderten, verfolgten die Freiheitlichen ihre EU-kritischen Standpunkte weiter und konnten sich sogar vorstellen, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs nicht umzusetzen. Was die Sicherheitspolitik betrifft, wollte die FPÖ sämtliche Kooperationen mit der Nato zurückfahren, die für die ÖVP aber unabdingbar sind.

Selbst über das Bekenntnis Österreichs zur Solidarität mit Israel wurde offenbar gestritten

Zugespitzt hatte sich die Situation, als am Wochenende ein Protokoll über die Koalitionsverhandlungen an die Öffentlichkeit gelangte. Darin waren von Sicherheitspolitik über Kultur, Medien, Bildung, Wirtschaft bis hin zu Verfassung und Infrastruktur alle Punkte aufgelistet, über die man verhandelt hatte. Mit Rot, Gelb oder Grün war markiert, worauf man sich geeinigt hatte oder eben nicht. Dabei zeigte sich, dass mit der Farbe Rot als Unstimmigkeit auch Dinge markiert waren, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, wie das Bekenntnis Österreichs zur Solidarität mit Israel oder der historischen Verantwortung des Landes. Auch über das Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Österreich Verfassungsrang hat, gab es keine Einigung.

Der Auslöser für das Scheitern war dann aber die Verteilung der Ministerien. Herbert Kickl wollte zum einen die Bereiche Kultur, Medien und Europafragen ins Kanzleramt verlegen, also zu sich selbst. Zum anderen beanspruchte er für die FPÖ zwei Schlüsselressorts, das Ministerium für Finanzen und das für Inneres. Beides wollte die ÖVP nicht mittragen. Mit dem Finanzministerium hätte die FPÖ Regierungsvorhaben ermöglichen oder blockieren können, das Innenministerium hat in Österreich eine sehr spezielle Geschichte. Kickl hatte dieses nämlich einmal geleitet, 2017 bis 2019 unter dem damaligen ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz. Damals sollen aus dem ihm unterstellten Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Informationen nach Russland weitergereicht worden sein, ein Komplex, der bis heute die österreichische Justiz beschäftigt. Die Folge: Ausländische Partnerdienste hatten Österreich zeitweise nicht mehr mit Informationen versorgt, die im Bereich der Terrorismusabwehr aber von zentraler Bedeutung sind. Für die ÖVP war es daher undenkbar, das Innenministerium der FPÖ zu überlassen, Ideen, das Ministerium aufzuteilen, führten nicht zu einer Einigung.

Dem Abbruch der Verhandlungen waren turbulente Tage vorausgegangen. ÖVP-Politiker hatten Kickl „Machtrausch“ und Kompromisslosigkeit vorgeworfen und seine Regierungsfähigkeit infrage gestellt. Die FPÖ hatte der ÖVP unterstellt, nur an Ministerposten interessiert zu sein.

ÖVP-Chef Stocker sagte in einer Pressekonferenz, die ÖVP habe „engagiert“ versucht, eine Mitte-rechts-Regierung zu bilden. Im Verlauf der Gespräche sei jedoch klar geworden, dass mit Kickl keine Kompetenzverteilung möglich gewesen sei. Stocker betonte, dass man zu Kompromissen bereit gewesen sei, nicht aber beim Thema Sicherheit. Deswegen sei es zum Bruch gekommen. So müsse mit einer neuen Regierung die Zusammenarbeit mit internationalen Nachrichtendiensten weitergehen, und man wolle ein „verlässlicher Partner in der Europäischen Union“ sein. Der Ball liege nun beim Bundespräsidenten, sagte Stocker.

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