Österreich:Öffi-Fahren für die Zukunft

Hauptbahnhof Graz *** Train main station Graz Der Grazer Hauptbahnhof wird täglich von vielen Reisenden frequentiert. Im

Frühbucher können mit dem neuen Klimaticket für 949 Euro ein ganzes Jahr durch ganz Österreich reisen.

(Foto: Tobias Steinmaurer /Imago)

Die türkis-grüne Bundesregierung stellt ihre ökosoziale Steuerreform samt "Klimaticket" vor. Ein Vorbild für eine mögliche Ampel-Koalition in Deutschland?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Am Sonntagnachmittag, während die Österreicher noch die warme Herbstsonne genossen, präsentierte die türkis-grüne Bundesregierung mit einiger Eile, aber auch mit erkennbarer Genugtuung im Kanzleramt in Wien das Ergebnis monatelanger Detailarbeit. Es ist die Umsetzung eines Versprechens aus dem Koalitionsvertrag: eine umfassende ökosoziale Steuerreform. Bis zur letzten Minute hatten Grüne und ÖVP über Details gestritten, zum Schluss aber verwiesen beide Seiten auf die Signalwirkung der Reform für die Bekämpfung des Klimawandels, während gleichzeitig untere und mittlere Einkommen entlastet würden. Umweltfreundliches Verhalten werde begünstigt, umweltschädliches Verhalten werde teurer.

Kanzler Sebastian Kurz sicherte 18 Milliarden steuerliche Gesamtentlastung bis 2025 zu, der grüne Vizekanzler Werner Kogler versprach mehr "Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit", hier werde ein großes Rad gedreht. Konkret soll ab Juli 2022 ein CO₂-Preis pro Tonne von 30 Euro eingeführt werden, wie er auch in Deutschland erhoben wird; er soll sukzessive steigen und in einen Emissionshandel überleiten. Die Grünen hatten einen höheren CO₂-Preis gefordert, um die ökologische Steuerungswirkung zu verstärken, die ÖVP verweigerte sich dem aber mit Verweis auf den hohen Gaspreis und die hohe Inflation. Experten bezeichneten in ersten Reaktionen den angepeilten CO₂-Preis als zu niedrig.

Österreich hinke anderen EU-Staaten hinterher, sagte die Umweltministerin

Als Ausgleich für steigende Energiepreise soll es einen regionalen Klimabonus geben, der pauschal ausgezahlt wird und sich danach richtet, ob Menschen in urbanen Räumen mit einer guten Versorgung im öffentlichen Nahverkehr oder aber auf dem Land leben und mehr auf das Auto angewiesen sind. Kurz und Kogler verwiesen darauf, dass man sich in vielen Punkten zwar an den deutschen Nachbarn orientiere, aber mit einem Klimabonus für die Bürger neue Wege gehe.

Umweltministerin Leonore Gewessler von den Grünen lobte die eigene Partei ebenso wie den Regierungspartner dafür, dass nun die jahrelangen politischen Spielchen aufhörten - und Österreich auf dem Weg der Klimaneutralität vorankomme. Sie räumte aber auch ein, dass Österreich hier hinter anderen europäischen Staaten hinterherhinke; es gebe in der EU nur noch wenige Länder, die keinen CO₂-Preis erheben würden. Immerhin aber nehme, so Gewessler, die Reform "alle mit".

So soll die zweite Einkommensstufe von Mitte 2022 an von 35 auf 30 Prozent, die dritte Einkommensteuerstufe ab Mitte 2023 von 42 auf 40 Prozent gesenkt werden. Wer davon profitieren will, muss mehr als 1800 Euro brutto im Monat verdienen. Für kleine Einkommen werden zudem die Krankenversicherungsbeiträge gesenkt. Der Familienbonus wird erhöht, die Körperschaftsteuer wiederum gesenkt werden. Mehr Geld soll in den mehrgeschossigen Wohnungsbau investiert werden, um die Zersiedelung zu begrenzen, außerdem sollen einkommensschwache Haushalte bei der Energiesanierung unterstützt werden. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) verwies darauf, dass die Lohnnebenkosten in Österreich mit 47,3 Prozent bisher relativ hoch seien; die Abgabenlast sinke mit der Reform nun auf 46,2 Prozent.

Die Grünen konnten sich vorerst nicht mit der Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Dieselmotoren oder der Pendlerpauschale durchsetzen. Klimaneutralität sei nicht in einem Schritt erreichbar, so Gewessler; sie solle in Österreich bis 2040 erreicht sein.

Beim Run auf die neue Netzkarte kollabierte die Internetseite

Für die Umweltministerin, deren Haus maßgeblich an der ökosozialen Steuerreform mitgewirkt hatte, war es die zweite Pressekonferenz innerhalb von einer Woche, auf der sie einen Erfolg präsentieren konnte. Sie hatte vor wenigen Tagen die Einführung eines lange diskutierten Klimatickets zum Nationalfeiertag am 26. Oktober angekündigt. Neben dem größten Vorhaben der Koalition, der am Sonntag vorgestellten Reform, gilt auch das Klimaticket als Kernprojekt der türkis-grünen Koalition: Sie hatte sich die Netzkarte, die als wesentlicher Beitrag "zur Erreichung der Klimaziele" verkauft wird, ins Regierungsprogramm geschrieben. Nun wird mit dem Slogan "Willkommen in der Mobilität der Zukunft" beworben: Jetzt könne jeder "alle Linienverkehre (öffentlicher und privater Schienenverkehr, Stadtverkehre und Verkehrsverbünde) in einem bestimmten Gebiet nutzen: regional, überregional und österreichweit".

Gewessler pries das Klimaticket als "eine Revolution für den öffentlichen Verkehr. Die Menschen in diesem Land haben lange genug darauf gewartet. Noch nie war Öffi-Fahren so einfach und so günstig". Das Modell, das es - allerdings wesentlich teurer - als General-Abo auch in der Schweiz gibt, könnte prinzipiell auch als Modell für eine mögliche Ampel-Koalition in Deutschland gelten. Es kostet für das ganze Jahr und das ganze Land 1095 Euro, für Frühbucher sogar nur 949 Euro. Tickets für einzelne Bundesländer variieren darüber hinaus von 365 Euro pro Jahr in Wien bis zu 695 Euro in Oberösterreich. Der Run auf die Netzkarte war jedenfalls zu Beginn so groß, dass die Internetseite zusammenbrach.

Experten kritisieren das Klima-Jahresticket als zu billig; der Staat und letztlich der Steuerzahler könnten auf hohen Kosten sitzen bleiben. Überdies sei für den Umstieg vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel nicht nur der Preis, sondern vor allem ein gutes und flächendeckendes Angebot wichtig.

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