MeinungÖsterreich:Deutsche Politiker fürchten zu Recht „österreichische Verhältnisse“

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Kolumne von Verena Mayer

Lesezeit: 2 Min.

In der Wiener Hofburg sprach Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Donnerstag mit FPÖ-Chef Herbert Kickl und ÖVP-Obmann Christian Stocker über die stockenden Koalitionsverhandlungen. Danach setzten die Freiheitlichen und die Volkspartei ihre Gespräche fort. (Foto: Foto: Alex Halada/dpa)

In Deutschland fürchten Politiker „österreichische Verhältnisse“, also die Abhängigkeit von einer rechtspopulistischen Partei. Ein Blick auf die Koalitionsgespräche in Wien zeigt: Sie fürchten sich zu Recht.

Im deutschen Bundestagswahlkampf ist derzeit sehr oft von „österreichischen Verhältnissen“ die Rede. Damit sind allerdings nicht die Lebensqualität, die Gesundheitsversorgung oder die großzügigen Renten gemeint, die man in diesem Land üblicherweise genießt. Österreich ist ein Symbol dafür geworden, was nach Wahlen passieren kann, in denen die Parteien der Mitte keine Mehrheiten mehr finden. Für ein Szenario, in dem eine Volkspartei nicht nur nicht mehr ausschließen kann, mit den extremen Rechten zu kooperieren, sondern sich diesen regelrecht andienen muss, um überhaupt regieren zu können. „Österreichische Verhältnisse“ sind das, was deutsche Politikerinnen und Politiker gerade um jeden Preis vermeiden wollen.

In Wien kann man gut beobachten, wie sich diese österreichischen Verhältnisse gestalten. Da beschloss Herbert Kickl, der Chef der im Kern extrem rechten FPÖ, all in zu gehen, um es mit Friedrich Merz (CDU) zu sagen. In den Koalitionsverhandlungen mit der Noch-Kanzlerpartei ÖVP forderte Kickl erst mal die beiden Schlüsselressorts, das Bundesministerium für Finanzen und das für Inneres. Ein FPÖ-Finanzminister hätte die Möglichkeit, nach Belieben Geld zu verteilen oder zu verweigern, das FPÖ-geführte Innenministerium wäre für die Polizei und den Geheimdienst zuständig und für die großen Linien bei den Themen Asyl und Migration.

Nicht zuletzt will Kickl die Bereiche Medien, Kultur und Europa-Politik ins Kanzleramt verlagern, also zu sich selbst. Dass die FPÖ nebenbei auch noch jene Bankenabgabe, also eine steuerähnliche Verpflichtung für Geldinstitute, fordert, an denen die Verhandlungen für eine Dreierkoalition zwischen Konservativen, Sozialdemokraten und Neos Anfang Januar gescheitert waren, weil die ÖVP ebendiese verweigerte, wirkt dabei fast nur mehr wie ein Detail am Rande. Denn Kickl fordert die ganze, bei sich gebündelte Macht.

Mitte der Woche sah es dann so aus, als würde der ÖVP dämmern, wem sie da ins Kanzleramt verhelfen will. Einer Partei, die die EU ablehnt, sich aus internationalen Kooperationen zurückziehen und die Urteile des Europäischen Gerichtshofs nicht akzeptieren will. Die schon einmal die innere Sicherheit riskiert hat, 2017 bis 2019, als Kickl Innenminister unter dem ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz war. Da sollen aus dem ihm unterstellten Verfassungsschutz Geheimdienstinformationen nach Russland weitergereicht worden sein, was internationale Partnerdienste dazu veranlasste, eine Zeit lang den etwa für die Terrorismusabwehr wichtigen Austausch von Informationen zu stoppen.

Die ÖVP ließ verlautbaren, man sei „überrascht“ von Kickls Forderungen, die kein „Angebot auf Augenhöhe“ seien. Die Gespräche wurden unterbrochen, sowohl der ÖVP-Vorsitzende Christian Stocker als auch FPÖ-Chef Kickl hatten einen Termin beim Bundespräsidenten – getrennt voneinander. In österreichischen Medien war von Wut innerhalb der ÖVP zu lesen, vom Wunsch, dem unwürdigen Schauspiel ein Ende zu setzen. Doch danach hieß es aus der ÖVP, man wolle weiterverhandeln, und zwar „ehebaldigst“, wie es Kickl gefordert hatte. Es sieht nicht so aus, als würden „österreichische Verhältnisse“ demnächst eine Chiffre für etwas Erstrebenswertes.

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