MeinungÖsterreich:Generalprobe für den Herbst

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Kolumne von Cathrin Kahlweit

Lesezeit: 2 Min.

FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl (li.) und Spitzenkandidat Harald Vilimsky feiern das Wahlergebnis bei der EU-Wahl 2024. (Foto: Helmut Fohringer/dpa)

Nach der Europawahl geht der Kampf um Wählerstimmen in Österreich weiter. Wieso dem Land bei der Nationalratswahl seine Erfahrung als Skifahrernation helfen könnte.

Nach der Wahl ist vor der Wahl – das gilt in der EU wohl am meisten für Frankreich, wo Emmanuel Macron womöglich politisches Harakiri begangen hat, indem er nach dem strahlenden Sieg von Marine Le Pen das ausgerufen hat, was im Namen ihrer Partei zentral verankert ist: nationale Wahlen. In denen könnte nun das Rassemblement National den so selbst- wie sendungsbewussten Präsidenten ein für allemal aus dem Élysée jagen.

In Deutschland wiederum sind jetzt alle ganz aus dem Häuschen, weil die AfD zwar nicht gleich das Nachkriegssystem aus den Angeln gehoben hat, aber gemeinsam mit Sahra Wagenknecht und ihrer Einfrau-Kommandoaktion den politisch abgeschriebenen Osten zu einer gesamtdeutschen Obstruktionsmaschine umbauen könnte: Stimmung gegen alles und Stimmen gegen demokratische Kompromisse.

In Österreich hingegen ist die Welt nach dem Wahlsieg der FPÖ wieder in Ordnung. Das mag zum einen daran liegen, dass das tatsächliche Wahlergebnis nicht dem am frühen Abend publizierten Trend entsprach. Es hatten sich alle schon emotional verausgabt, als klar wurde, dass die FPÖ schlechter abschnitt als in den Umfragen und letztlich mit 25 Prozent nur knapp vor der ÖVP landete. Ein Triumph sieht anders aus.

Damit hat sich einiges bestätigt, was man aber eigentlich schon immer wusste: Die Bäume der gern ins Rechtsextreme abdriftenden Rechtspopulisten wachsen nicht in den Himmel. Österreich ist und bleibt dennoch ein strukturkonservatives Land, was auch die sehr tapfer kämpfenden Neos lernen mussten, die wieder nur bei zehn Prozent landeten. Jede Aufregung – siehe den Skandal um die grüne Spitzenkandidatin Lena Schilling – hat in der Politik eine kürzere Halbwertzeit als, sagen wir mal, zwischen verstrittenen Nachbarn oder Ehepartnern. Irgendwann ruckelt sich alles wieder zurecht.

Nun hat die FPÖ für die Nationalratswahl den Kampf um die Kanzlerschaft ausgerufen. Die ÖVP einen Zweikampf gegen die FPÖ um eben diese Kanzlerschaft. Und die SPÖ einen Dreikampf darum, wer am 29. September wie knapp auch immer vorn liegen wird. Die Österreicher sind das als Skifahrernation eh gewöhnt: Da entscheidet oft eine Hundertstelsekunde über Sieg oder Niederlage, was man als Flachländer ziemlich unsportlich finden kann.

Der originellste Kommentar zum Wahlergebnis kam vom Wiener Staatswissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik: „Die ÖVP ist also jetzt in einem ,Kanzler-Duell’ mit einer Person, deren einziger Weg zur Kanzlerschaft über die ÖVP führt, die genau diesen aber ausschließt.“ Mit der „Person“ meint er Herbert Kickl, mit dem die ÖVP nicht zusammenarbeiten, den sie offiziell auch nicht zum Kanzler wählen will. Wie das gehen soll, wird Noch-Kanzler Karl Nehammer in der – diesmal sehr kurzen – Sommerpause noch ausklamüsern müssen.

Was sonst noch zu ergänzen wäre: Das Ergebnis der EU-Wahl in Österreich wurde von praktisch niemandem zu keiner Zeit mit Blick auf zentrale Fragen und Probleme innerhalb der EU interpretiert. Denn darum ging es auch nie; alles war eine Art Generalprobe für den Herbst. Da ist doch eine andere Nach-Wahl-Nachricht tröstlich: Vor 30 Jahren haben 66 Prozent der Österreicher für den EU-Beitritt gestimmt. Mittlerweile sind 76 Prozent dafür zu bleiben. Und nur 17 Prozent dafür auszutreten. Die FPÖ sollte den Öxit daher noch eine Weile verschieben, falls Kickl im Herbst am Ballhausplatz einzieht.

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