Österreich:Der Kanzler wünscht sich ein Momentum

Österreich: Bekenntnisse im Wiener Märzgrau: Karl Nehammer wäre wohl gern bis 2030 Bundeskanzler

Bekenntnisse im Wiener Märzgrau: Karl Nehammer wäre wohl gern bis 2030 Bundeskanzler

(Foto: Martin Juen/Imago)

Bundeskanzler Karl Nehammer malt sich die Zukunft aus: mehr Leistung, weniger Gendern, mehr Autofreundlichkeit, weniger Sozialhilfe für Migranten. Über Korruptionsskandal und Umfragetief schweigt er sich aus.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Er habe bisher in Krisenzeiten regiert und damit vor allem auf Krisen reagieren müssen, hatte der österreichische Bundeskanzler vor seiner "Rede zur Lage der Nation" wissen lassen. Nun wollte er offenbar endlich mal Ideen zur Zukunft, zu Reformen und Innovationen formulieren - was er bei einer zwischen programmatischer Rede und Wahlkampfauftritt changierenden Ansprache am Freitagmorgen unter dem Titel "Österreich 2030" dann auch ausgiebig tat.

Knapp anderthalb Stunden lang stand Nehammer im 35. Stock eines Hochhauses im Wiener Süden, hinter sich in der Tiefe ausgebreitet die Hauptstadt im Märzgrau, vor sich überwiegend Parteifreunde aus Bund und Ländern, die brav und regelmäßig applaudierten. Er sprach über die Abschaffung der Grunderwerbssteuer beim Kauf des ersten Hauses, über eine stärkere Staffelung des Arbeitslosengeldes und halbierte Sozialhilfesätze für Migranten, die weniger als fünf Jahre in Österreich leben. Über Arbeitsanreize für Rentner, über Bürokratieabbau für ausländische Pflegekräfte. Sein Credo, wenig innovativ, aber sehr ÖVP: Leistung müsse sich wieder lohnen; es gehe nicht an, dass es "nur Work für die einen und Life für die anderen" gebe.

Vom Vorgänger Sebastian Kurz haben er und die ÖVP Korruptionsvorwürfe geerbt

Einiges, etwa die Forderung nach mehr Kindebetreuung, ging direkt an die Länder, einiges, etwa die Ablehnung einer "Untergangsapokalypse beim Klima", eher an den grünen Koalitionspartner. Der Klimawandel sei ein globales Phänomen, dem nicht durch Angstmache, sondern durch Kreativität zu begegnen sei. Nehammer bestätigte noch einmal sein unbedingtes Ja zur Neutralität, sein Nein zum Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien, solange es weiter "Asyltourismus" in Europa und illegale Migration gebe, und ein Nein zum endgültigen Aus des Verbrennungsmotors.

Das meiste entstammte dem Klassiker "Bekenntnisse eines Konservativen", etwa die Irritation über das Gendern oder das "Schlechtmachen von Autofahrern". Andererseits verschwieg der österreichische Kanzler, warum er, der am 6. Dezember 2021 sein Amt angetreten hat - während beispielsweise der deutsche Kanzler Olaf Scholz nur zwei Tage später, am 8. Dezember 2021 vereidigt wurde -, so viel mehr Krise zu bewältigen hatte als der Kollege im Nachbarland. Die Pandemie und der russische Überfall auf die Ukraine waren und sind schließlich keine österreichischen Phänomene.

Nehammer hat allerdings als Nachfolger von Sebastian Kurz, gegen den wegen des Vorwurfs der Untreue, Bestechlichkeit, Bestechung und Falschaussage ermittelt wird, eine weitere Krise zu managen. Bis heute ist die ÖVP mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, welche die Regierungspartei nicht zur Ruhe kommen lassen.

Die Realität draußen im Land: In den Umfragen führt die FPÖ

Nehammer ließ dieses Thema bewusst aus; schließlich sprach er am Wienerberg als Kanzler, nicht als Parteivorsitzender. Der ehemalige ÖVP-Generalsekretär und Innenminister habe ohnehin sein "Momentum" noch vor sich, hatte es vor der "Rede zur Lage der Nation" geheißen. Das mit dem Momentum hatte sich der Chef der strategischen Kommunikation der Partei, Gerald Fleischmann, ausgedacht, der auch schon unter Kurz für die PR zuständig gewesen war. Mit seinem Auftritt erklärte sich der konservative Kanzler nun also gleich bis zum Jahr 2030 politisch verantwortlich für die Zukunft Österreichs. Die nächsten Nationalratswahlen stehen allerdings schon 2024 an.

Derzeit führt die FPÖ in den die Umfragen. Sogar die SPÖ hatte eine Zeitlang vor der ÖVP gelegen, fällt aber derzeit stetig zurück. Die Gründe sind vielfältig: Da ist zum einen ein öffentlich ausgetragener Machtkampf zwischen der Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner und dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Zum anderen hatten die Sozialdemokraten den ÖVP-Kurs etwa bei der Migration, dem Schengen-Veto oder der Neutralitätsdebatte nicht bekämpft, sondern mitgetragen.

Und die nächste Krise, wohlgemerkt von ÖVP und SPÖ, zeichnet sich gerade in Niederösterreich ab. Dort hatte ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner bei der Landtagswahl im Januar zehn Prozentpunkte verloren. Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ unter deren neuen, selbstbewussten Landesparteichef Sven Hergovich waren am Donnerstag gescheitert. Nun spricht Mikl-Leitner mit der FPÖ, die ihrer Wiederwahl im Landtag entgegen bisherigen Zusicherungen nicht im Wege stehen will. Die Rede zur Lage der Nation im 35. Stock dürfte über den Niederungen der Landespolitik bald vergessen sein.

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