Süddeutsche Zeitung

Österreich:Kanzler weg, alle weg

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Die Sozialdemokraten in Wien sind inhaltlich und personell ausgelaugt, verbonzt und ohne Charisma. Der zurückgetretene Kanzler Faymann hat dazu beigetragen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Österreichs Sozialdemokratie mausert sich gerade zum Vorbild für all jene - vor allem linke - Parteien in Europa, die mit Lust an ihrer Selbstabschaffung arbeiten. Die SPÖ war zu lange an der Macht (39 der vergangenen 46 Jahre unter Entsendung des Kanzlers), sie ist verbonzt und inhaltlich ausgelaugt. Ideologisch irrlichtert sie durch die Parteienlandschaft. Und schließlich war sie mit einer Führungskraft gesegnet, die über das Charisma einer Sanduhr verfügt. Die Führungskraft gibt es nun nicht mehr, die übrigen Probleme schon.

Prinzipiell ist es sehr gesund für eine Demokratie, wenn sich große Parteien in der Führung eines Landes abwechseln und so auch die Chance zur politischen und persönlichen Erneuerung in der Opposition bekommen. In Österreich war das schwierig, weil sich nach den fetten Jahren des Sozialdemokraten Bruno Kreisky nie wirklich eine vernünftige Koalitionsalternative jenseits der rot-schwarzen Variante ergab. Die relativ kurzen Spielereien der Roten und der Schwarzen mit den Freiheitlichen endeten nicht gerade vergnüglich. Das hat die etablierten Parteien freilich nicht davon abgehalten, immer wieder mit dem Feuer zu spielen.

Kanzler Faymann hat sich nicht zuletzt an diesem Feuer seine tödlichen Verletzungen zugezogen. Anstatt eine klare Linie gegen die FPÖ zu fahren, weckte er in seiner Partei die absurdesten Begehrlichkeiten, steigerte mit seinem Radikalschwenk in der Flüchtlingspolitik die ideologische Verwirrung und erhielt die vorläufig letzte Quittung bei der Bundespräsidentenwahl. So kann man ein Land und eine Partei nicht führen.

Die Sozialdemokraten in Wien sind ausgelaugt. Auf Dauer?

Österreich wird also dem Rest Europas 2016 noch eine große Wahl bescheren, als ob das Jahr nicht schon hinreichend vollgestopft wäre mit diesen schicksalhaften Momenten. Groß wird die Wahl deshalb, weil die rechtspopulistischen Freiheitlichen diesmal tatsächlich nach dem Kanzleramt greifen werden. Was die Regierung Faymann in ihrer Panik in den vergangenen Wochen vorwegnahm, könnte dann politischer Auftrag einer Mehrheit werden: Österreich geht den Weg Ungarns, die EU gerät noch ein Stück nationalistischer, und die Rechtspopulisten auch und gerade in Deutschland haben ein Vorbild mehr.

Österreichs Sozialdemokraten haben nun die letzte Chance, eine Besinnungspause zu nutzen und eine klare Politik der Abgrenzung zur FPÖ zu beschließen. Das Land hat das Gedränge in der Mitte satt, es will Alternativen sehen - oder die Bürger wählen eben das populistische Original. Freilich erscheint es geradezu utopistisch, jetzt an eine Blitzerneuerung der von Lagerkämpfen gezeichneten SPÖ zu glauben. Auf der Landesebene hat die Sozialdemokratie gleich mehrere Spielarten im Angebot, dazu kommen die kakofonen Gewerkschaften, und weiß Gott, wer noch alles die Finger im Mustopf hat.

Die Regierung Faymann hat diesen Niedergang verwaltet, sie hat ihn nicht alleine verantwortet. Was jetzt kommt, verantworten die Wähler.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2016
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