Strache-Video:Die FPÖ begibt sich in die Trotzburg

FPOe Holds Final Election Rally Before European Parliamentary Elections

FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky (links) und Norbert Hofer, der neue starke Mann, bei der Abschlusskundgebung zur Europawahl in Wien.

(Foto: Getty Images)
  • Auf ihrer Abschlusskundgebung zum Europa-Wahlkampf schaltet die FPÖ um auf den Slogan "jetzt erst recht".
  • In diesem Satz lässt sich der ganze Verschwörungs- und Opfermythos bündeln, mit dem die Freiheitlichen auf den tiefen Fall ihres vormaligen Frontmannes Strache reagieren.
  • Der Skandal um das Ibiza-Video wird nur vordergründig aufgearbeitet.

Von Peter Münch, Wien

Blau ist der Himmel, blau die Bühne, und blau sind auch die Ballons, auf denen steht: "FPÖ - mit langem Atem für unsere Heimat." Keiner soll denken, dass den Freiheitlichen die Luft ausgeht nach dieser filmreifen Woche voller Fehl- und Rücktritte, die ganz Österreich erschüttert hat. Hier auf dem Viktor-Adler-Platz im 10. Wiener Gemeindebezirk wird gefeiert zum großen Finale des EU-Wahlkampfes, und alle, na ja, fast alle sind gekommen: der designierte neue Parteichef Norbert Hofer, der geschasste Innenminister Herbert Kickl, der EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky, und natürlich die John Otti Band, die seit ewigen Zeiten das Wahlvolk der FPÖ beschallt.

Umständehalber fehlt nur Heinz-Christian Strache, doch auf den Bannern immerhin ist noch sein Name zu lesen - und die Stimmung prägt er sowieso. Denn die ist kämpferisch und wird zusammengefasst in einem Motto, das in großen Lettern überall zu sehen ist: "Jetzt erst recht."

Jetzt erst recht - diese Parole soll der Rettungsanker sein für die durch das Ibiza-Video und den Abgang ihres Vorsitzenden Strache in die Defensive geratene Partei. Auf der FPÖ-Webseite ist ein Clip zur Europawahl zu sehen mit dem aktuellen Dreigestirn der Freiheitlichen: "Jetzt" sagt Hofer, "erst" schiebt Kickl nach, "recht" vollendet Vilimsky. Drei Worte voller Trotz und Wut und Kampfeswillen, die so perfekt zum Markenkern der FPÖ passen. Das Copyright auf diesen Satz liegt allerdings - zumindest im politischen Österreich - bei der ÖVP, die mit diesem Slogan im Präsidentschaftswahlkampf anno 1986 ihren Kandidaten Kurt Waldheim stärkte, nachdem dessen NS-Vergangenheit ruchbar geworden war. Waldheim gewann die Wahl, und was ihm damals recht war, ist der FPÖ heute nicht zu billig.

Denn in diesem Satz lässt sich der ganze Verschwörungs- und Opfermythos bündeln, mit dem die Freiheitlichen auf den tiefen Fall ihres vormaligen Frontmannes Strache reagieren. Die demaskierende Falle, die ihm und seinem Gefährten Johann Gudenus auf Ibiza gestellt wurde, wird zwar vordergründig aufgearbeitet. Dass der Auftritt "peinlich", "katastrophal" und "dumm" war, das hat auch Strache selbst bei seinem Rücktritt eingeräumt. Vor allem aber trommelt die Partei gegen jene finsteren Mächte "aus dem Ausland", die als Drahtzieher vermutet werden für ein "politisches Attentat" auf Strache, einen "Anschlag" auf die Regierungsarbeit von ÖVP und FPÖ oder gar einen "Angriff auf Freiheit und Demokratie".

Als Antreiber im Hintergrund ist dabei immer noch Heinz-Christian Strache zu erkennen, der vor allem über die sozialen Medien präsent bleibt. Dort hatte er auch als Erster die "Jetzt erst recht"-Losung ausgegeben - allerdings damit zunächst auch seine eigenen Parteifreunde irri- tiert, weil er es womöglich persönlich meinte.

Der Standard jedenfalls zitiert aus einer Whatsapp-Nachricht an Spitzenfunktionäre, in der Strache schrieb: "Wiener Vorstand besteht einstimmig auf meinem Verbleib als Obmann". Das war schnell wieder vom Tisch. Doch auf Facebook, wo er 800 000 Follower hat, sammelt Strache Unterstützung. Am Freitag veröffentlichte er ein neues Rechtfertigungsvideo, in dem er seine Ibiza-Aussagen als unschuldige "Gedankenspiele" darstellt und sich zu dem Satz aufschwingt, "die Gedanken sind frei."

Das Ruder übernommen haben in der Partei nun Hofer, der bereits zum Spitzenkandidaten für die Neuwahl im September erkoren wurde, und Kickl, der die Fraktion im Parlament anführen soll. Die Rollenverteilung ist schon beim ersten gemeinsamen Auftritt der beiden zu Wochenbeginn deutlich geworden: Der allzeit freundliche Herr Hofer umschmeichelt das Wahlvolk, der weniger freundliche Sozius Kickl nimmt die Konkurrenz aufs Korn.

Hofers Charmeoffensive konnte in seinen ersten Chef-Tagen kaum einer entkommen: Bei den alten Regierungskollegen bedankte er sich für die gute Zusammenarbeit, auch die Sozialdemokraten bekamen viel Anerkennung. Die Grenzen der Glaubwürdigkeit testete er aus mit einem Lob für die Medien im Allgemeinen und das linke Wiener Wochenblatt Falter im Besonderen. Er versprach die lückenlose Aufklärung aller durch das Ibiza-Video aufgeworfenen Fragen nach einer möglicherweise illegalen Auftragsvergabe oder Spendenpraxis. Und er kündigte einen Wahlkampf an, wie es ihn in Österreich schon sehr lange nicht mehr gegeben hat - "ohne Schmutzkübel" nämlich. "Es war mir immer wichtig, ein gutes Verhältnis zu allen anderen Parteien zu pflegen", erklärt Hofer. Kurzum: Die moralisch runderneuerte FPÖ will sich nach der anstehenden Neuwahl breitestmöglich wieder als Koalitionspartner in Stellung bringen.

Dieser Schmeichel- und Schmusekurs steht allerdings in deutlichem Kontrast zu der von Herbert Kickl gelebten politischen Praxis. Kickl ist ansatzlos zurückgefallen in seine alte Rammbockrolle. Das bevorzugte Ziel seiner Attacken ist Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP, dem er vorhält, "machtbesoffen" die Koalition aufgekündigt zu haben. Vor dem Misstrauensantrag gegen den Kanzler im Parlament am Montag lässt er deutlich Rachegelüste erkennen. Und auch gegen den Bundespräsidenten feuert er seine Breitseiten ab: Alexander Van der Bellen habe sich "von Kurz und seinen Beratern quasi übertölpeln lassen", schimpfte Kickl. Der Präsident mache sich damit zum "Steigbügelhalter eines schwarzen Machtkartells".

Mit solchen Sätzen sollen die Reihen geschlossen werden für die Kämpfe, die nun anstehen, weit über die EU-Wahl hinaus. "Jetzt erst recht" ruft auch der Sänger der John Otti Band auf dem Wiener Viktor-Adler-Platz. Und weil die Stimmung grad so gut ist, singen alle mit beim nächsten Titel: "Wir sind eine große Familie."

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