Österreich:Verstoß gegen die Wahrheitspflicht

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Sebastian Kurz geht zum Gegenangriff über, es würden "Falschaussagen kreiert". (Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Kanzler Sebastian Kurz soll im Ibiza-Untersuchungsausschuss falsche Aussagen gemacht haben. Eine Anklage hält er offenbar für wahrscheinlich. Die Opposition fordert seinen Rücktritt.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Nachdem am Mittwoch bekannt geworden war, dass der österreichische Bundeskanzler demnächst dafür angeklagt werden könnte, vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur "möglichen Käuflichkeit der türkis-blauen Regierung" die Unwahrheit gesagt zu haben, ging Sebastian Kurz in die Offensive.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hält ihm vor, in einer Befragung durch die Parlamentarier, in der es um die Bestellung des Vorstandschefs der Staatsholding Öbag ging, behauptet zu haben, er sei nur am Rande informiert gewesen. Er habe mit den Entscheidungen, welche die Aufstellung der Öbag sowie die Bestellung von Vorstand und Aufsichtsräten betrafen, wenig zu tun gehabt.

Er sei unschuldig, konterte Kurz später in zwei Interviews: Die Vorwürfe kämen von Neos und SPÖ und würden sich spätestens in Luft auflösen, wenn er die Gelegenheit bekomme, sich vor einem Richter zu erklären. Offenbar geht der Kanzler selbst davon aus, dass es zu einer Anklage kommen wird.

Er beteuerte, er habe immer die Wahrheit gesagt, aber er sei durch die mehr als vierstündige und erbarmungslose Befragung massiv unter Druck gesetzt worden. "Ich kenne das Spiel im Ausschuss relativ gut", sagte Kurz im ORF. Wenn eine Auskunftsperson angebe, sie könne sich nicht erinnern, dann werde sie "schlecht gemacht", wenn sich hingegen jemand wie er bemühe, Auskunft zu geben, dann werde danach "auf jedem Wort herumgeritten" und es würden "Falschaussagen kreiert".

Die Aussagen des Kanzlers seien "objektiv unrichtig"

Die WKStA hat allerdings in ihrer Mitteilung mit Bezug auf die Attacken des Kanzlers vorgebaut: Bei einer - wissenschaftlichen Standards entsprechenden - Aussagenanalyse sei nicht auf die "allgemeine Glaubwürdigkeit im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft, sondern auf die Glaubhaftigkeit einer konkreten Aussage abzustellen".

In der Folge legt die WKStA daher in ihrem mittlerweile öffentlich gewordenen Akt auf etwa insgesamt 40 Seiten, gut dokumentiert mit Chatprotokollen aus der internen Kommunikation von Regierungsmitgliedern, Beleg um Beleg vor, warum die Aussagen von Kurz im Ausschuss "objektiv unrichtig" waren. Es folgen weitere Seiten in der "Mitteilung nach § 50 Strafprozessordnung", auf denen mögliche Absprachen mit anderen Zeugen nachgewiesen werden sollen.

Die WKStA hatte sich die Mühe gemacht, diverse Aussagen von Regierungsmitgliedern sprachlich abzugleichen und auch auf "Phantasie- und Kargheitssignale" sowie Gegenangriffe zu durchleuchten, die zusätzlich darauf hinweisen würden, dass man es hier mit bewussten Falschaussagen zu tun habe. Die Staatsanwälte zeigen sich sicher, dass der Bundeskanzler der Republik Österreich gegen die Wahrheitspflicht verstoßen hat, weil er falsche Aussagen gemacht und Fakten verheimlicht oder verschwiegen habe, die im Zusammenhang mit dem Beweisthema standen.

Kurz gab jedoch in mehreren Interviews an, er werde auch im Falle der zu erwartenden Anklage nicht zurücktreten, er habe auch die Rückendeckung der ÖVP-Landeshauptleute. Gleichwohl fordert die Opposition seinen Rückzug, und auch die medialen Reaktionen auf die jüngsten Entwicklungen sind aus Sicht der ÖVP national wie international katastrophal. Auch wenn die eigenen Parlamentarier sich der Lesart ihres Kanzlers anschließen und keine bewusste Falschaussage erkennen können, so hagelt es doch Rücktrittsforderungen und bittere Kommentare.

In der Tiroler Volkszeitung etwa stellt der Leitartikler fest, auf die sich überschlagenden Ereignisse der Kanzlerschaft Sebastian Kurz' könne man "nur noch mit Zynismus, Ironie oder einem Wolf-Haas-Zitat" reagieren. Auch in der BBC wird vermerkt, Kurz sei von der Korruptionsstaatsanwaltschaft ins Visier genommen worden. Parlamentarier hätten Vorwürfe von Vetternwirtschaft untersucht, heißt es, darunter die Bestellung eines Kurz-Loyalisten zum Chef der Staatsholding. Textnachrichten ließen aber vermuten, dass Kurz mehr Fragen zu beantworten habe, als ihm lieb sei. Selbst die Washington Post berichtet über neues Ungemach für den lange so populären Kanzler.

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