Österreich:Hohepriester der Kunst

Österreich: "Rot ist die Farbe des Lebens und des Todes", sagte Hermann Nitsch.

"Rot ist die Farbe des Lebens und des Todes", sagte Hermann Nitsch.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Ob sanft oder exzessiv: Keiner feierte das Leben so ausdrucksvoll wie Hermann Nitsch. Ein persönlicher Abschied vom großen Aktionskünstler aus Österreich.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Er hat es nicht mehr geschafft. Hermann Nitsch wusste, dass er sich mit seinen 83 Jahren seine Kraft einzuteilen hatte. So musste der Künstler vergangenen Sommer die Entscheidung treffen, ob er die Einladung zu den Festspielen Bayreuth annehmen oder die geplante Neuauflage seines Sechstagesspiels verwirklichen wollte. Nitsch, der auch komponierte und an der Orgel spielte, hat sich für Bayreuth entschieden, und dafür, die konzertante Aufführung von Richard Wagners "Walküre" mit einer Malaktion zu begleiten.

Als er auf dem Grünen Hügel am Ende der dritten und letzten Aufführung auf der Bühne - gestützt auf einen der Sänger und eine Krücke - Applaus und einzelne Buhrufe entgegennahm, war das einer dieser Momente, die sich ganz tief einprägen. Weil sie einzigartig und nicht wiederholbar sind.

Österreich: Hermann Nitsch 2021 beim Schlussapplaus in Bayreuth.

Hermann Nitsch 2021 beim Schlussapplaus in Bayreuth.

(Foto: Alexandra Föderl-Schmid)

Genauso wie jenes Gespräch, bei dem ihm wie mir klar war, es würde wohl kein weiteres geben. Es war auch die letzte Chance, alle Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Warum ist Rot die wichtigste Farbe? "Es ist nicht die schönste Farbe, aber die intensivste", sagte Nitsch. "Die Farbe des Lebens und des Todes. Und diese Farbe fasziniert mich."

Zuletzt steigerte er sich in einen wahren Rausch der Farben

Aber wer in den vergangenen zwei Jahren einen Blick in sein Atelier auf dem Schüttboden seines Schlosses Prinzendorf im Weinviertel werfen durfte, entdeckte mehr als ein Dutzend farbenprächtige Bilder. Nitsch konzentrierte sich nicht mehr auf eine Farbe, sondern steigerte sich in einen wahren Rausch. Dabei nutzte er die ganze Palette: knallige und pastellige Töne, intensive Farbcluster mit reliefartiger Haptik, eine blumenfreudige Leuchtkraft.

Jener Mann, der wegen der Verwendung von Blut und Tierkadavern wie kaum ein anderer österreichischer Aktionskünstler veritable Skandale provozierte und deshalb 1968 nach München emigrierte, überrascht mit floralen Farbsymphonien - ein so ganz anderer Nitsch. "Ob sanft oder exzessiv, beides ist notwendig", sagte Nitsch und reflektierte in diesem letzten Gespräch darüber, dass sich bei ihm im Alter und dann mit über 80 Jahren "die Farben immer mehr durchgesetzt haben, das war eine reine Eroberung". Ihm war außerdem wichtig, das Licht einzufangen. "Denn ohne Licht gibt es keine Farben." Er habe sich immer Pfingstrosen oder Gladiolen hingestellt, als Quelle der Inspiration, erzählte Nitsch. Das Malen selbst sei aber ein "dynamischer und ekstatischer Prozess".

Er selbst hat den ritualisierten Exzess zur Kunst gemacht in seinem Orgien-Mysterien-Theater. Der Hof des Schlosses Prinzendorf, wo sich normalerweise Katzen, Hühner, eine Ziege und ein Pfau tummeln, sollte dieses Jahr wieder zum Schauplatz für seine Aktion werden. Die letzte Realisierung der ersten beiden Tage seines Sechstagespiels Ende Juli wird Nitsch, der im Schlossgarten begraben wird, nun nicht mehr erleben. Seine Kraft reichte dafür nicht mehr aus. Lesen Sie hier den Nachruf mit dem Titel "Blutbürger".

Ob er es wohl bedauert, sich für Bayreuth und nicht dafür entschieden zu haben, zum allerletzten Mal sein Gesamtkunstwerk zu inszenieren, sein Fest des Lebens zu feiern? Hermann Nitsch, der Hohepriester der Kunst, wird fehlen.

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