Österreich:Hauptsache Ärger

Österreich: Flüchtlinge warten in Griechenland auf ihre Unterbringung.

Flüchtlinge warten in Griechenland auf ihre Unterbringung.

(Foto: Louisa Gouliamaki/AFP)

Die österreichische Regierungskoalition, bestehend aus SPÖ und ÖVP, streitet über die weitere Flüchtlingspolitik - vordergründig. Denn eigentlich geht es den Parteien nur darum, einander vorzuführen.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Anfangs war es offiziell nur um 50 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge gegangen, die Österreich im Rahmen des "Relocation"-Programms der EU aus Italien übernehmen sollte. 50 Jugendliche, das sind nicht viele, sollte man meinen - aber an ihnen, und an den zusätzlich noch etwa 1900 Migranten, die durch den 2015 in Brüssel beschlossenen Umverteilungsplan aus Italien und Griechenland in den kommenden Wochen nach Österreich hätten gebracht werden sollen, entzündete sich eine eigenartige Koalitionskrise. Oder muss man sagen: Sie wurde entzündet?

Der Innenminister (ÖVP) kündigte an, man müsse die 50 wohl oder übel nehmen, so sei das nun mal mit der EU vereinbart. Der Verteidigungsminister (SPÖ) sagte hingegen, das müsse man nicht. Schließlich habe Brüssel anerkannt, dass Wien in der Flüchtlingskrise schon einen besonders großen Beitrag geleistet habe. Deshalb habe man Österreich ein Moratorium zugestanden: keine Flüchtlinge zusätzlich, auf Zeit. Überhaupt solle man vielleicht aus dem von Österreich mitbeschlossenen Relocation-Programm aussteigen.

Wien hätte auch geräuschlos mit Brüssel verhandeln können - die Minister aber wollten provozieren

Dann mischte sich Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ein, der den Streit zwischen den beiden Ministern nun wirklich nicht brauchen konnte. Kern warf dem Innenminister vor, dass der es versäumt habe, sich in Brüssel um eine Verlängerung der Ausnahmeregelung zu kümmern. Diese laufe jetzt aus, weshalb sich nun er, Kern, dafür einsetzen müsse, dass die Ausnahme bleibt.

Am Dienstag nach der Kabinettssitzung verkündete der Kanzler dann, er werde per Brief in Brüssel dafür werben, dass die besonders große Anstrengung seines Landes anerkannt werde. Er stehe, so Kern, natürlich prinzipiell zur Relocation, wie auch sonst zu allen gemeinsam gefällten EU-Beschlüssen. Und man werde es, falls Brüssel keinem weiteren Moratorium zustimme, selbstredend weiter mittragen.

Ein Sowohl-als-auch also, aus dem ein gelernter Österreicher den Schluss zieht: Hätte man mit Brüssel verhandeln wollen, wäre das auch geräuschloser gegangen. Man hätte eine Lösung präsentiert, die vielleicht nicht allen gepasst hätte, hinter der sich die Koalition aber hätte versammeln können.

Aber dann hätte es keinen Koalitionskrach gegeben, und um den ging es eigentlich. Den Koalitionspartner vorzuführen - das wird derzeit besonders gern mit Initiativen betrieben, die mit EU-Recht kollidieren oder im Zweifel gar nicht umsetzbar sind. Hauptsache Ärger, Hauptsache Schlagzeilen. Daher zurück zum Anfang: Es geht um alles in allem 1900 Flüchtlinge, die auf Österreich verteilt werden sollten. Eine machbare Aufgabe.

Eigentlich war das Relocation-Programm erfunden wurden, um erst 160 000 Asylbewerber gerechter über die gesamte EU zu verteilen, später, nach langen politischen Streitereien, wurde die Zahl auf etwa 100 000 reduziert. Aber selbst das funktionierte in der EU nicht: Einige Länder weigerten sich, Ungarn stieg ganz aus, später Polen. Bis heute sind überhaupt nur etwa 15 000 Asylbewerber umverteilt worden, derzeit warten 26 000 in Italien und Griechenland auf ihre Weiterreise.

Experten zweifeln nun die Verteilungsschlüssel an, verrechnen sie mit illegalen Einwanderern und sagen, die Bewertungen von 2015 seien obsolet, weil sich viele der 100 000 Menschen gar nicht mehr da befänden, wo sie waren, als das Programm erfunden wurde. Aber das alles spielt derzeit in Österreich keine große Rolle. Es geht um: Innenpolitik.

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