Österreich:Geheimpapier bringt Grüne in Not

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Werner Kogler, Parteichef der Grünen, muss sich für eine Nebenabsprache zum Koalitionsvertrag mit der ÖVP rechtfertigen. (Foto: Georg Hochmuth/DPA)

Machtposten, Einfluss beim ORF, ein Ja zum Kopftuchverbot: Österreichs Grüne müssen einen "Sideletter" zum Koalitionsvertrag mit der ÖVP erklären. Dabei birgt eine Nebenabsprache zwischen ÖVP und FPÖ viel mehr Sprengstoff.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Als der grüne Parteichef Werner Kogler am Sonntagabend im ORF saß, wirkte er atemlos. Es sollte in der TV-Diskussion um explodierende Energie- und Mietkosten in Österreich gehen, aber erst einmal war Thema, ob die grüne Parteispitze ihren Bundesdelegiertenkongress und damit die Basis angelogen habe über den Inhalt ihrer Regierungsvereinbarung mit der ÖVP. Im Januar 2020 legten Grüne und ÖVP einen Koalitionsvertrag vor; nun, zwei Jahre später, ist ein "Sideletter" aufgetaucht, ein geheimer Zusatzvertrag, den die Delegierten damals nicht zu sehen bekommen hatten.

Darin ist die proportionale Aufteilung von Posten für Höchstgerichte, EU-Institutionen und staatsnahe Betriebe festgelegt, die Zahl der von beiden Parteien zu nominierenden Stiftungsräte im ORF, aber es finden sich auch inhaltliche Festlegungen. So werde per Erlass ein "Kopftuchverbot für Lehrerinnen im Laufe der Legislaturperiode eingeführt." So etwas wäre grünen Delegierten wohl kaum zu verkaufen gewesen; das Kopftuchverbot an Schulen war ein Lieblingsprojekt von Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Wenn man sich bei den Grünen umhört, heißt es entweder, das Papier sei eine "Versicherung" gewesen gegen die übermächtige ÖVP, oder aber, wie die damalige Mitverhandlerin Birgit Hebein twittert, seine Existenz sei "irritierend".

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Kogler argumentierte im ORF, er übernehme die Verantwortung, man habe nach langen Verhandlungen irgendwann "den Sack zumachen müssen", und es sei eh immer klar gewesen, dass so ein Kopftuchverbot vor dem Verfassungsgericht nicht hält. Das Thema sei aus dem Koalitionsvertrag herausverhandelt worden und ohnehin ein "Nullum" gewesen. Die Debatte über die Existenz des Papiers geht aber unvermindert weiter. Die Grünen sagen, man habe sich gegen Übergriffe und Dominanzen der ÖVP schützen müssen.

Das Papier zeigt, wie sich FPÖ und ÖVP die Republik aufteilten

Pikant ist das auch deshalb, weil die grüne Parteispitze davon ausgeht, dass türkise Kräfte um Ex-Kanzler Kurz das Papier absichtlich geleakt haben, um von einer anderen Debatte abzulenken. Was gelungen zu sein scheint. Zuvor, am Freitag schon, war nämlich ein entsprechender Sideletter zum Koalitionsvertrag zwischen ÖVP und FPÖ aufgetaucht, die von 2017 bis 2019 gemeinsam regiert hatten. Über seine Existenz war lange spekuliert worden; nun hatte ihn ein FPÖ-Politiker für die Befragung durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft aus einem Tresor in der Fraktion geholt.

Das Papier enthält, weit detaillierter als die schwarz-grüne Vereinbarung, Namen, Fristen, Antrittstermine, Aufteilungen für alle möglichen Machtpositionen - auch für solche, die nach österreichischem Recht ausgeschrieben werden müssen, oder die, etwa bei der Staatsholding Öbag, vom Aufsichtsrat vorzunehmen sind. Auch eine Liste von Führungsposten beim öffentlich-rechtlichen ORF ist dabei; viele der abgekürzten Namen sind unschwer zu entschlüsseln und zeigen einmal mehr den (qua Gesetz unzulässigen) Einfluss der Politik auf den Sender.

Der Inhalt des Papiers birgt doppelten Sprengstoff. Denn zum einen macht es die Aussage von Sebastian Kurz vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss, er sei in die Besetzung des Vorstandspostens bei der Öbag nicht eingebunden gewesen, noch unwahrscheinlicher. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Falschaussage. Zudem wird mit dem üppigen Sideletter einmal mehr deutlich, wie sich FPÖ und ÖVP die Republik aufteilten. ÖVP-Fraktionschef August Wöginger findet das alles völlig normal. Er spricht von "gekünstelter Aufregung".

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