Süddeutsche Zeitung

Österreich:Seine "Achse der Willigen" wird für Kurz zum Problem

Der Nachbar Deutschlands will als Reaktion "Maßnahmen zum Schutz unserer Südgrenze ergreifen". Seehofer wird am Donnerstag zu Gesprächen in Wien erwartet.

Von Peter Münch, Wien

Österreichs Regierung ist kalt erwischt worden vom Asylkompromiss der deutschen Unionsparteien. Kein Wunder also, dass auch die Replik unterkühlt im Ton und wuchtig in der Sache ausfällt. "Wir sind sicherlich nicht bereit, Verträge zu Lasten Österreichs abzuschließen", sagt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), als er am späten Dienstagnachmittag flankiert von seinem Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl (beide FPÖ) in Wien vor die Mikrofone tritt. "Wir werden nationale Maßnahmen der Deutschen damit beantworten, dass wir Maßnahmen an unseren Grenzen, insbesondere an der Südgrenze setzten."

Macht Österreich nun den Brenner dicht? Wird es auch an der Grenze zu Slowenien zu verschärften Kontrollen kommen? Spielt Europa Domino mit seinen Grenzen? Noch ist das eine Eskalation im Konjunktiv. Denn die Wiener Wucht, die nach Auge um Auge, Zahn um Zahn klingt, steht unter einem wichtigen Vorbehalt. Erst einmal, auch darauf verweist Kurz, muss klar werden, ob dieser Unionskompromiss wirklich Regierungspolitik wird. Die deutsche Seite wird also aufgefordert, "rasch" zu klären, wie sie ihren Plan umzusetzen gedenkt - vor allem jenen Passus in Punkt drei des Kompromisspapiers, der eine Rückführung nach Österreich für all jene Migranten vorsieht, die von andern Ländern nicht wieder aufgenommen werden. Dies soll auf "Grundlage einer Vereinbarung mit der Republik Österreich" stattfinden. Doch an eine solche Vereinbarung, das stellt die Wiener Regierungsspitze klar, ist nicht zu denken. Denn so etwas wäre, siehe vorn, eindeutig zu Lasten Österreichs.

Kanzler Kurz hatte zuvor schon im Straßburger Europaparlament, wo er eigentlich nur das Programm für Österreichs EU-Ratspräsidentschaft erläutern wollte, die Gelegenheit genutzt, um das Thema wieder in einen größeren Rahmen zu stellen. Die "Diskussion auf deutscher Ebene" nahm er als Beleg dafür, "dass es einen Fokus auf den Außengrenzenschutz braucht". Nur wenn dies sichergestellt sei, könne "ein Europa ohne Grenzen nach innen" wieder funktionieren. Er scheint die Krise auch als Chance zu sehen, mit noch mehr Nachdruck zu fordern, dass sich Europa nach außen abschotten müsse.

Aktuell aber wird es nun zunächst darum gehen, den Grenzkonflikt im Inneren zwischen Deutschland und Österreich zu entschärfen. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) wird dazu am Donnerstag nach Wien reisen. Telefoniert wurde vorab schon reichlich an diesem denkwürdigen Dienstag: Seehofer sprach mit Kurz, Kurz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kickl mit Seehofer.

Der deutsche Innenminister mag die Hoffnung hegen, in Wien auf einen traditionell engen Verbündeten zu treffen. Das Pikante an diesem Konflikt ist ja, dass sich als Kontrahenten nun ausgerechnet jene gegenüberstehen, die in der Migrationspolitik ansonsten mit vereinten Kräften gegen Merkel zu Felde gezogen sind. Nicht einmal drei Wochen ist es her, dass Kurz bei einem Treffen mit Seehofer die "Achse der Gutwilligen" ausrief, die vom Berliner Innenministerium über Wien nach Rom führen sollte. Und noch vor zwei Wochen kamen Kurz und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder mit ihren kompletten Regierungsmannschaften zu einem Kabinettstreffen in Linz zusammen, wo sie eherne Eintracht beim Thema "Flüchtlinge" demonstrierten.

Da war schon Seehofers Plan der Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze bekannt - und er war von der Wiener Regierung zunächst sogar positiv aufgenommen worden. Kickl lobte, dass damit endlich eine "neue Dynamik" entstanden sei und beteuerte: "Sie können davon ausgehen, dass wir mit dem deutschen Innenministerium bestens akkordiert sind". Vorige Woche allerdings vollzog Kickl eine Wende und drohte: "Wenn Deutschland glaubt, dass man entgegen internationalem Recht einfach Personen nach Österreich zurückbringen kann, dann werden wir den Deutschen erklären, dass wir diese Personen nicht abnehmen."

Das Flüchtlingsthema ist in Österreichs Politik wohl einfach zu wichtig, um sich hier von den Deutschen Vorschriften machen zu lassen. Es ist der Kitt, der die Wiener Koalition aus ÖVP und FPÖ zusammengebracht hat nach einem allein auf dieses Thema ausgerichteten Wahlkampf. Und auch die Opposition in Wien fordert von der Regierung nun eine harte Haltung gegenüber Berlin.

An Österreichs Südgrenzen nach Italien und Slowenien ist ohnehin schon seit Langem alles vorbereitet für schärfere Kontrollen. Vor allem der Schutz am Brenner ist in der österreichischen Debatte ein Dauerthema seit mindestens 2016, als den Italienern vorgeworfen wurde, Flüchtlinge einfach "durchzuwinken". Kontrollstellen wurden an der Autobahn und an der Bahnstrecke errichtet. Im Sommer 2017 drohte der damalige österreichische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil sogar damit, Soldaten samt Panzerwagen am Brenner aufzufahren. Das war damals eher Wahlkampfgetöse. Nun aber hat die Grenzfrage von Deutschland aus eine neue Brisanz bekommen.

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SZ vom 04.07.2018/bix
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