Süddeutsche Zeitung

Nach der Wahl:Österreich sehnt sich nach dem Aufbruch

Trotz der Stimmen für einen Rechtspopulisten ist das Land nicht braun geworden, sondern bunt. Der Radikalismus kann noch gestoppt werden.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Es ist gut, dass dieser hybride Wahlkampf ein Ende hat. Denn er wurde nicht um das Amt des Bundespräsidenten von Österreich ausgefochten, sondern um die langfristige politische Ausrichtung des Landes. Und um die Frage, ob die Veränderungen, von deren Notwendigkeit jedermann überzeugt ist, radikal oder moderat herbeigeführt werden sollen. Der Wahlkampf, den ein Linker gewann, nachdem die Rechten schon siegessicher gewesen waren, wurde zudem immer mehr aufgeladen mit Fantasien von Revolution und Staatsstreich. Zum Schluss trug er hysterische Züge. Für Österreich, ein Land mit eher gemäßigtem Lebens- und Reformtempo, kam das einem Kulturschock gleich.

Als im Dezember die später auf Platz drei gelandete unabhängige Kandidatin Irmgard Griss ins Rennen zog, versuchte sie zu erklären, dass eine Bundespräsidentin vor allem mit klugen Reden und guter Rhetorik auf das Volk einwirken könne. Jetzt, im Nachklang zu einer Wahl, in der manche Medien Nazi-Schlagzeilen produzierten oder vom Ende der Demokratie fabulierten, wirkt das fast schon rührend.

Das Land ist nicht braun geworden, sondern kunterbunt

Zur aufgeheizten Stimmung und dem großen internationalen Interesse kam es vor allem wegen eines Skandals mit Ansage: Die Welt starrte auf Österreich, weil es hieß, hier könne erstmals in der Europäischen Union ein Rechtspopulist Staatschef werden. Das war unzutreffend. Denn die Präsidenten Ungarns, Tschechiens oder Polens teilen, auch wenn sie nicht derselben Parteienfamilie angehören wie Hofer, dessen Weltbild. Hätte Hofer, wie knapp auch immer, gesiegt, wäre Österreich jedenfalls fürs Erste abgestempelt gewesen: Ein Land mehr auf der Liste, in dem die Rechtspopulisten den Ton setzen gegen Europa, gegen Ausländer, gegen ein tolerantes Miteinander.

Jetzt müssen alle herunter von ihren Barrikaden, Verschwörungstheorien müssen zurückgenommen, die Hetzer in den sozialen Netzwerken eingefangen werden. Leicht wird das nicht. Denn die FPÖ ist trotz der knappen Niederlage im Aufwind, und die Regierung massiv unter Druck. Aber: Österreich ist, obwohl ein Rechtspopulist auf 49,7 Prozent der Stimmen kam, nicht braun. Es ist auch, obwohl ein Grüner auf 50,3 Prozent der Stimmen kam, nicht grün. Es ist ratlos, zerrissen, auf der Suche. Diese Wahl hat mehr als alle politischen Debatten der vergangenen Jahre gezeigt, wie sehr sich ein ganzes Land nach Aufbruch sehnt.

Politische Landschaft ist labil

Dass kein Kandidat der SPÖ und der ÖVP in der Stichwahl war, dass sich die Vertreter beider Regierungsparteien am Wahlabend gar nicht mehr den Medien stellten, weil das "nicht unsere Wahl" ist, war so schockierend wie symptomatisch. Die politische Landschaft ist labiler, fragiler, aber eben auch bunter geworden. Der nächsten Regierung dürften mit Sicherheit neue oder andere Parteien angehören als bisher; in dieser Hinsicht ist das Land auf dem Weg in die Normalität.

Diesmal fiel den meisten Bürgern die Wahl extrem schwer. Kein Wunder bei der Auswahl, die Protestwähler aus allen Lagern in der ersten Runde selbst herbeigeführt hatten. Ein Fünftel der Wähler, die für Norbert Hofer stimmten, hat vorher noch nie FPÖ gewählt; ein Drittel der Wähler Hofers wollte einen Grünen an der Macht verhindern. Umgekehrt hat ein Drittel der Wähler, die den nächsten Präsidenten, Alexander Van der Bellen, gewählt haben, vorher nie für einen Grünen gestimmt - und wird es vielleicht auch nicht so schnell wieder tun.

30 000 Stimmen entscheiden

Letztlich waren etwa 30 000 Stimmen entscheidend für das Image des Landes in der Welt und für dessen Selbstverständnis. Wenn man sich dem Wahlergebnis also von der Siegerseite her nähert, entsteht ein ganz anderes Bild als das eines fast braunen Landes. Viele Menschen, die lieber heute als morgen die rot-schwarze Dominanz im Land beendet sähen, haben sich bewusst gegen die Rechten entschieden. Sie finden, Veränderung müsse anders möglich sein als mit Ausländerhass und Abschottung, Euro-Skeptizismus und Minderheiten-Mobbing.

Dazu hat sicher der neue Bundeskanzler Christian Kern beigetragen, der am Dienstag ein bemerkenswertes Statement zum Wahlergebnis abgab: Die Lösungen und Rezepte, welche die FPÖ für Österreich angeboten habe, hätten das Land "nicht auf den Pannenstreifen, sondern in die Schredderanlage" befördert. Nicht Isolationismus und ein autoritärer Führerstaat seien die Antwort auf die Krise der Institutionen und der Wirtschaft, sondern konkrete Politik: Investitionsförderung, Forschung, Bildung. Der Sozialdemokrat Kern, seine Partner von der ÖVP und der neue Bundespräsident haben es jetzt in der Hand, Österreich vor jenem Radikalismus zu bewahren, auf den es schon zuzusteuern schien.

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SZ vom 25.05.2016/lalse
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