Österreich:Die Causa Wien Energie

Nach den Turbulenzen bei Österreichs größten Energieversorger gewährt der Bund der Stadt Wien einen Kredit von zwei Milliarden Euro. Welche Konsequenzen werden aus dem Fall gezogen?

Von Hans-Peter Siebenhaar

Nur knapp ist die Wien Energie, Österreichs größter Energieversorger, der Zahlungsunfähigkeit wegen riskanter Termingeschäfte an der Strombörse entkommen. Der Bund genehmigte dem Unternehmen der Stadt Wien einen Kredit von zwei Milliarden Euro bis April nächsten Jahres, damit es künftig nicht mehr in die Liquiditätsfalle tappt. Der Vertrag wurde am Donnerstag geschlossen. Das Darlehen kann innerhalb von zwei Stunden abgerufen werden. Banken scheuten zuvor das Risiko und winkten ab.

Obwohl die Stadt Wien bereits seit Mitte Juli über die finanzielle Schieflage Bescheid wusste, schlug sie nicht Alarm. Im Gegenteil: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit genehmigte der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in zwei Tranchen insgesamt 1,4 Milliarden Euro, damit die Versorgungssicherheit der knapp zwei Millionen Kundinnen und Kunden aufrechterhalten werden konnte. Erst am vergangenen Samstag informierte Wien die Bundesregierung über die Geldnot der Wien Energie. Das Entsetzen bei Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) war entsprechend groß. Der bislang einmalige Fall in der österreichischen Stromgeschichte wird nun rechtlich geprüft. Weder im Vorstand noch im Aufsichtsrat oder gar in der Wiener Landesregierung gab es bisher personelle Konsequenzen.

Künftig wird die Kontrolle der Wien Energie verbessert. Das Finanzministerium entsendet einen Vertreter in den Aufsichtsrat, um eine ähnliche Schieflage in Zukunft zu vermeiden. Zudem muss das Unternehmen sämtliche Handelsgeschäfte der vergangenen beiden Jahre offenlegen. Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) nannte das Krisenmanagement der Wien Energie "wirklich katastrophal".

Für den Kauf von Strom an internationalen Energiebörsen braucht der Energieversorger im Notfall sehr hohe Finanzmittel zur Besicherung von künftigen Lieferverträgen (Futures). Michael Strebl, Chef der Wiener Energie, verteidigte die Termingeschäfte: Man sei "an der Börse tätig, um die Versorgung unserer Kundinnen und Kunden sicherzustellen", sagte der Manager. Er sprach von einem "Tsunami". Experten kritisieren aber, dass die massiven Liquiditätsprobleme der Wien Energie nicht ausschließlich auf die enormen Preissteigerungen zurückzuführen seien. "Normal waren die Geschäfte nicht", sagte der Energiemarktexperte Walter Boltz. "Ich denke schon, dass die Wiener ein Risiko in Kauf genommen haben, sicher in der Hoffnung, hier finanzielle Vorteile für die Wiener Kunden zu bekommen", so der Ex-Chef der Energie-Regulierungsbehörde E-Control. Die Wien Energie erzielte 2021 einen Umsatz von drei Milliarden Euro. Der Jahresüberschuss sank im gleichen Zeitraum um 61 Prozent auf nur noch 140 Millionen Euro.

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