Österreich:Die Akte Strache

Wehrsport Strache

Prägende Jahre: Als 17-Jähriger trat Heinz-Christian Strache der Burschenschaft Vandalia bei, bald darauf spielte er Krieg im Wald. Mit 20 wurde er bei einem Aufmarsch der Wiking-Jugend festgenommen.

(Foto: Archiv Horaczek)

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und seine früheren Verbindungen zur Neonazi-Szene - eine Rekonstruktion.

Von Leila Al-Serori und Oliver Das Gupta, Wien/Innsbruck

Nach wenigen Minuten reicht es Heinz-Christian Strache mit der Fragerei. Vielleicht ahnt er, dass er etwas zu viel erzählt hat. Er rutscht auf seinem Holzstuhl zurück, die Stimme bebt. "Es ist offensichtlich, dass Sie nur ein Thema interessiert", sagt der FPÖ-Chef und kneift die Augen zusammen. Sein Pressesprecher fährt mit der Hand flach über den Tisch, Schluss jetzt. Das Thema ist heikel, sehr heikel: Straches Zeit in der Neonazi-Szene.

Bis dahin ist die Atmosphäre gelöst. Strache erzählt in der holzvertäfelten Stube eines historischen Innsbrucker Gasthauses aus seiner frühen Jugend. Er sitzt in flaschengrüner Trachtenweste locker auf seinem Stuhl, scherzt. Die Stimmung kippt, als Fragen zu seiner Phase im Milieu kommen. Für den 48-jährigen Strache, der drauf und dran ist nach der Parlamentswahl am 15. Oktober als Vizekanzler in der österreichischen Regierung zu sitzen, sind diese mehr als nur unangenehm.

Vor zehn Jahren gab es dazu einige Enthüllungen in den Medien, meist belegt mit Fotos. Der FPÖ-Chef wackelte, aber er stürzte nicht.

SZ-Recherchen zeigen, wie tief er als junger Erwachsener wirklich drin steckte. Schilderungen von Augenzeugen, Erkenntnisse deutscher Sicherheitsbehörden und Archivmaterial belegen: Strache war über Jahre Bestandteil der Neonazi-Szene und begann parallel dazu seine Karriere in der FPÖ.

Seine Verteidigungslinie an diesem Tag in Innsbruck ist ähnlich wie die Jahre zuvor: Er verdammt den Nationalsozialismus und gleichzeitig Extremismus aller Art. Seine Jahre im Milieu damals: ein Lernprozess. "Ich war ein Suchender, ich habe mir vieles angeschaut", sagt Strache und fährt mit dem Zeigefinger über das weiße Tischtuch. Einen Fehler nennt er diese Erfahrungen nicht, für ihn ist damit alles gesagt. Auch sein Pressesprecher schüttelt den Kopf: Jugendsünden seien das gewesen, harmlos. Bei Nachfragen droht das Gesprächsende.

Mit dieser Taktik hat Strache in Österreich das Thema abgestreift. Er ist heute einer der erfolgreichsten Rechtspopulisten Europas, 2016 schafft er es sogar auf die Titelseite des Time Magazine. In zwölf Jahren hat Strache seine "Blauen" mit Dauerwahlkampf zur Volkspartei gemacht, erklärtes Vorbild für die AfD. Bei den Parlamentswahlen könnte die FPÖ 25 Prozent oder mehr holen. Während in Deutschland aufgrund der relativen Neuheit der Partei der Einzug der AfD in den Bundestag mit knapp 13 Prozent Empörung hervorruft, stört sich im Nachbarland kaum jemand daran, dass die FPÖ der kommenden Regierung angehören könnte. Viel zu lange prägen Rechtspopulisten dort schon das politische Tagesgeschäft. Strache wäre der erste Politiker mit Vergangenheit im Neonazi-Milieu, der in Europa mitregiert.

Er selbst spricht von drei Jahren. Seine Biografinnen Claudia Reiterer und Nina Horaczek schreiben dagegen, dass er "in etwa zwischen 1985 und 1992" in der rechtsextremen Szene verkehrte. Anfang der 90er Jahre sei er ein "gefestigter politischer Mensch" gewesen, sagt Heinz-Christian Strache 2006.

Wenn er damals ideologisch angekommen ist, müssen ihn die Jahre vorher entscheidend geprägt haben. Eine Rekonstruktion in elf Kapiteln.

1. Mit der Wiking-Jugend in Fulda

Die letzten Stunden des Jahres 1989 sitzt Heinz-Christian Strache in einem vergitterten Bus der deutschen Polizei. Identitätsfeststellung - gehen darf er vorerst nicht. Es ist kalt, die Situation schmachvoll. Für Strache beginnt das neue Jahrzehnt in Gefangenschaft.

Der 20-jährige Wiener ist den weiten Weg von seiner Heimatstadt ins deutsche Fulda gefahren, mehr als 800 Kilometer mit der Bahn. Seine Freundin ist dabei und ein paar andere Österreicher. Von dort geht es mit dem Auto weiter in östlicher Richtung, nach Simmershausen an der Grenze zur DDR, wo schon ein paar Gleichgesinnte warten - und Dutzende Gegendemonstranten. Die deutsche Wiking-Jugend will hier ihr "Mahnfeuer" abhalten, so geht das seit Jahren an Silvester. Die Organisation steht in der Tradition der Hitler-Jugend, das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz stuft sie als "neonazistisch" ein. 1994 wird die Gruppe verboten.

Gegen 20 Uhr stapfen Strache und seine Kameraden bis zur noch immer gesicherten Grenze zur DDR.

"Wir sind doch auf eurer Seite", versichert die Gruppe den westdeutschen Sicherheitsbeamten. "Die haben sich als Retter Deutschlands aufgespielt", sagt der damalige Polizeieinsatzleiter heute. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen auch die Österreicher wissen, dass die Veranstaltung der Wiking-Jugend von den Behörden verboten ist - wie auch die Jahre zuvor.

"An dem bis zuletzt geheim gehaltenen Versammlungsort, einem Steinbruch (...) entzündeten etwa 20 Personen Fackeln, sangen Lieder und riefen Parolen in Richtung innerdeutsche Grenze", vermerkt der hessische Verfassungsschutz später. Strache hält auch eine Fackel, die Gruppe singt: "Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt" - die bis 1945 gebräuchliche erste Strophe der Nationalhymne, die auch Österreich und Dänemark zum Teil des Reichs erklärt. Einer bläst "die Fanfare, die eher zitterte als schmetterte", schreibt die Fuldaer Zeitung. Auch eine Fahne mit "Runen-Kreuz" ist im Text erwähnt - ein möglicher Hinweis auf die österreichische Neonazi-Gruppe "Volkstreue Außerparlamentarische Opposition" (VAPO). Der damalige Journalist der Fuldaer Zeitung vermutet heute, dass die Wiking-Jugend an Silvester ein Event für die Medien kreieren wollte. Bei den Festgenommenen werden vier Schreckschusswaffen und eine Gaspistole sichergestellt, schreibt der Verfassungsschutz Hessen.

"Die Wiking-Jugend hat uns eingeladen, um gegen die Mauer zu demonstrieren. Und ich war immer ganz klar gegen Kommunismus", sagt Strache heute in Innsbruck. Er habe nicht gewusst, worauf er sich einlasse. Erst anschließend habe er recherchiert und für sich beschlossen, er besuche solche Veranstaltungen nicht mehr.

Gegenüber anderen Journalisten hat Strache früher den Wiking-Jugend-Aufmarsch als humanitäre Aktion gerechtfertigt: Man habe "Brotkörbe" über die innerdeutsche Grenze geworfen. Augenzeugen, mit denen die SZ gesprochen hat, können das nicht bestätigen. Auch die Wiking-Jugend beschreibt in ihrer Propaganda-Zeitschrift Wikinger den "Jahreswechsel an der Zonengrenze": Von "Brotkörben" und dergleichen ist dort nichts zu lesen, dafür von den festgenommenen Kameraden, die Neujahr im Polizeibus, der "Grünen Minna", feiern mussten. Die Wiking-Jugend zählt alle Festgenommenen, also auch die Österreicher, zu ihrer Gruppe, so machen es auch die Polizei und der Verfassungsschutz.

2. Zelten mit der "Volkstreuen Jugend"

Es deutet viel darauf hin, dass Strache schon vor Fulda mit der Wiking-Jugend in Berührung gekommen ist.

In der zweiten Hälfte der 80er Jahre besucht er Zelt- und Skilager in Kärnten. Organisiert werden sie ihm zufolge vom "Familienkreis Volkstreue Jugend". Als radikal habe er die Lager nicht wahrgenommen, sagt Strache. Wer hinter dem "Familienkreis Volkstreue Jugend" steckt, ist unklar. Eine Organisation dieses Namens ist Experten nicht bekannt. Allerdings schmückt sich mit dem Beinamen "Volkstreue Jugend" die Wiking-Jugend, wie mehrere Publikationen der Gruppierung zeigen.

Dass die von ihm in Kärnten besuchten Zeltlager mit der neonazistischen Organisation in Verbindung stehen, räumt Strache nun erstmals im Gespräch mit der SZ ein: "Die Volkstreue Jugend hatte auch den Kontakt zur Wiking-Jugend." Der FPÖ-Chef nennt keine Namen, sagt aber, dass er so von der Veranstaltung in Fulda erfahren habe.

3. In der deutschnationalen Burschenschaft

Schon viel früher dockt Strache an das Umfeld an, das ihn politisch prägen wird. Über einen Freund aus einem Kung-Fu-Kurs kommt er mit 17 Jahren zur Pennalen Burschenschaft Vandalia in Wien. Strache ist begeistert und steigt voll ein, es ist ein Bund fürs Leben. Er vermittelt Neulingen ideologische Inhalte, fungiert als Fechtwart und schlägt Mensuren - rituelle Zweikämpfe - bis heute sind es sieben. Wie es im Jahr 2013 im Vandalen-Heim aussieht, zeigen bislang unveröffentlichte Fotos, die der SZ vorliegen.

Auf einem Bild ist ein schwarzer Stahlhelm zu sehen, der auf einem Totenschädel liegt. Andere Aufnahmen zeigen junge Männer mit klaffenden Schnittwunden, die sie sich beim Fechten zugezogen haben. An der Wand hängt eine schwarz-weiß-rote Reichskriegsflagge aus der deutschen Kaiserzeit, ein Motiv, das auch Neonazis bei Aufmärschen gerne schwenken. Die Vandalia tickt klar deutschnational, in den Farben des 1945 untergegangenen Reichs, und nicht österreichisch Rot-Weiß-Rot.

Über die völkischen Korporierten kommt Strache auch in Kontakt mit dem bekannten Rechtsextremen Norbert Burger, in dessen Tochter Gudrun er sich verliebt. Sie begleitet ihn später nach Fulda.

4. Tumult im Burgtheater

Seinen ersten großen Auftritt hat der noch unbekannte Strache am 4. November 1988, Fernsehbilder zeigen ihn als wütenden Besucher des Wiener Burgtheaters (siehe Header). Schriftsteller Thomas Bernhard feiert an diesem Abend Premiere mit seinem "Heldenplatz", einem kritischen Stück über Österreichs Umgang mit der NS-Zeit. Strache ist damals ein schlaksiger junger Mann mit Popperfrisur, aber klar auf den Videoaufnahmen erkennbar. Er steht auf der Empore, reckt die Faust und brüllt mit anderen jungen Männern zornig Richtung Bühne. Aus dem Parkett schreien Bernhard-Anhänger "Nazi-Goschn" hinauf. Zeitungen schreiben später, dass eine Handvoll "Rechtsradikale" an Karten gekommen sei.

5. Kriegsspiele im Wald

Etwa zur gleichen Zeit entwickelt Strache ein neues Hobby: Gemeinsam mit Kameraden aus der Burschenschafterszene ballert er mit Soft-Guns in einem Waldstück in Kärnten in Kampfmontur herum. Die originalgetreuen Waffen, die Plastikprojektile und Farbkugeln abfeuern, werden populär, gerade unter jungen Männern. Doch die Spiele haben "politischen" Charakter, wie es einer formuliert, der damals dabei ist. Mit dem späteren FPÖ-Chef kriechen berüchtigte Neonazis durchs Unterholz, unter anderem der spätere NPD-Funktionär Andreas Thierry.

Es entstehen Fotos, einige davon werden 2007 bekannt: Sie zeigen Strache, wie er mit einer Waffe posiert, beim Schlagstocktraining, neben einem Kriegerdenkmal. Solche paramilitärischen Übungen stufen deutsche Sicherheitsbehörden als "Wehrsport" ein. Neonazis sehen "in Wehrsport-Aktivitäten Vorbereitungshandlungen für die von ihnen angestrebte Stunde 'Null', in der sie als 'Avantgarde' ein neues, nationalsozialistisches System errichten wollen", schreibt der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen.

So ein Denken herrscht wohl auch unter Straches Kampfkameraden. Zwei von ihnen sind damals mit der VAPO verbandelt, einer faschistischen Truppe, die vom Holocaust-Leugner Gottfried Küssel angeführt wird - dieser sitzt heute wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung eine Haftstrafe ab.

Strache wird später die Übungen als harmlose Paintball-Spiele abtun, doch gerade die VAPO setzt damals explizit auf solche Übungen. In der Neonazi-Zeitschrift W - Die Neue Front vom September 1990 berichtet die Küssel-Truppe von einer "Übung militärischen Charakters mit Kameraden aus den Gauen Wien und Niederösterreich". Der Einsatz von "Farbkugelpistolen hilft wesentlich zur Erreichung möglichst großer Realität", heißt es in der Neonazi-Zeitschrift, unter den Text ist ein VAPO-Schriftzug samt Runenkreuz gedruckt.

Küssel veranstaltet zwischen 1987 und 1992 Wehrsportübungen nahe dem Ort Langenlois in Niederösterreich. Auch dorthin fährt Strache mindestens einmal. Er habe den Besuch abgebrochen, sagt Strache, die Zustände und Leute als entsetzlich empfunden. Nur Neugierde habe ihn dorthin geführt.

Zwei ehemalige Neonazis, die damals regelmäßig mit Küssel für die Machtübernahme üben, berichten der SZ hingegen, dass bei den Wehrsportübungen "keiner von außen reingekommen" sei, es handelte sich um einen "geschlossenen Zirkel". Als Gast reinschnuppern, sei demnach unmöglich gewesen. "Keine Einladung ohne Empfehlung eines wichtigen Mitglieds", so habe die Formel gelautet.

Das Programm der Küssel-Gruppe ist den beiden Aussteigern zufolge umfangreich: Die ausschließlich männlichen Teilnehmer lernen, wie man sich bei einem Verhör verhält, erhalten Schlagstocktraining und ideologische Schulungen, müssen exerzieren. Manchmal wird auch scharf geschossen. Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW), die wichtigste Forschungseinrichtung für Rechtsextremismus im Land, bewertet diese Schilderungen als tatsachengetreu.

Die zwei Ex-Neonazis berichten außerdem von damals in der Szene kursierenden "Kauft nicht bei Juden"-Aufklebern, die sie mit Rasierklingen darunter angebracht hätten, um Menschen zu verletzen, die diese wieder entfernen wollten.

6. Bei der DVU in Passau

1990 nehmen deutsche Polizisten Strache erneut vorübergehend fest. In Passau besucht er am 10. März eine Großveranstaltung zum Thema "Wiedervereinigung sofort" der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU), die später mit der NPD fusioniert. Die Zuschauer singen alle drei Strophen des Deutschlandlieds, einer reckt ein Schild in die Höhe, auf dem steht: "Oberschlesien ist und bleibt deutsch." Vorne, unter dem Rednerpult, hat jemand eine Reichskriegsflagge aufgehängt, wie Archivfotos und Berichte in der parteieigenen Zeitung von damals zeigen. Eine Ansprache des britischen Holocaust-Leugners David Irving ist auch in der Nibelungenhalle geplant, wird allerdings von den Behörden untersagt. Bereits im Jahr zuvor besucht Strache eine Veranstaltung Irvings in Wien. Auch da findet die Rede wegen eines Verbots letztlich nicht statt. Dafür spricht ein FPÖ-Politiker über "Österreichs deutsches Bekenntnis".

Der bayerische Verfassungsschutz attestiert der DVU eine "vorwiegend nationalistische Fremdenfeindlichkeit, gelegentlich auch durch eine Vermengung von Antisemitismus und Antizionismus gekennzeichnet". Außerdem versuche die DVU die Rolle von Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg "zu relativieren bzw. zu rechtfertigen".

An die 4000 Menschen kommen nach Passau, wie der deutsche Verfassungsschutz notiert, elf Personen nimmt die Polizei fest. "Ihnen wurde das Mitführen verbotener Gegenstände vorgeworfen", schreibt die SZ damals. Strache ist einer von ihnen. Er soll eine Schreckschusspistole bei sich gehabt haben.

7. Eine Art Doppelleben

Während sich Strache in der Neonazi-Szene bewegt, tritt er 1989 in die FPÖ ein. Als vaterlos aufgewachsenes Einzelkind findet er in der Partei eine Art Familie, sagen Wegbegleiter. Politisch gefällt dem 20-Jährigen der Kurs von Parteichef Jörg Haider. Der Kärntner Landeshauptmann hat Österreich kurz vorher zur "ideologischen Missgeburt" erklärt und damit vor allem Wähler am äußersten rechten Rand angesprochen.

Strache, der zu der Zeit als Zahntechniker arbeitet, wird vom damaligen FPÖ-Funktionär Herbert Güntner in die Partei geholt. Der Zahnarzt ist auch in einer rechten Studentenverbindung, und er weiß, dass Strache mit der Tochter des Rechtsextremisten Norbert Burger liiert ist. Aber von Kontakten zu Neonazis wie Küssel habe er nichts geahnt, erzählt er im Gespräch mit der SZ. Als 2007 die Fotos von Straches Wehrsport-Spielchen und seinen Kontakten zur Wiking-Jugend publik werden, sei er unangenehm überrascht gewesen: "Diese Dinge waren für mich mit dem jungen Mann, den ich damals kannte, nicht vereinbar."

Strache nimmt also an martialischen, rechtsextremen Veranstaltungen teil, auf der anderen Seite tritt er vor Parteifreunden höflich, zuverlässig und dankbar auf. Güntner, der damals FPÖ-Chef in Straches Wiener Heimatbezirk Landstraße ist, sieht ihn als politisches Talent und fördert ihn. Beide kritisieren vor allem die Vorherrschaft der Großparteien SPÖ und ÖVP im Land, den Proporz.

Dass Strache sich aus dem Milieu löst, liegt wohl vor allem an seiner Bekanntschaft mit Güntner.

8. Am rechten Rand der FPÖ

Strache ist anfänglich auch in der FPÖ manchen zu rechts, wie ehemalige Parteikollegen bei Treffen in Wien erzählen. Von 1990 bis 1994, als Strache längst in der Partei ist, versucht er auch der FPÖ-Jugendorganisation Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) beizutreten, wird aber abgelehnt. "Strache und andere wollten die Organisation übernehmen, daraus eine ideologische Kaderschmiede machen", sagt Peter Westenthaler heute, der zu diesem Zeitpunkt im Vorstand des RFJ sitzt und sich an Auseinandersetzungen mit dem Jungpolitiker erinnert. Sein RFJ-Kollege und spätere Verteidigungsminister Herbert Scheibner erzählt: "Strache war uns damals zu rechts und hat zu sehr gepoltert."

Ähnliches fällt auch Parteifreunden auf, die selbst rechtsaußen positioniert sind. Der mittlerweile verstorbene FPÖ-Veteran Otto Scrinzi sagt für die Biografie "HC Strache" 2008: "Vom Strache glaube ich, dass er im Grunde ein Nationaler aus Überzeugung ist. Er mag im jugendlichen und pubertären Wallen vielleicht sogar ein bisserl weit rechts gestanden haben." Scrinzi war vor 1945 SA-Sturmführer und Mitarbeiter des Innsbrucker Rasse-Instituts der Nazis.

9. "Ich war nie ein Neonazi"

Nachdem Jörg Haider und seine Anhänger die FPÖ 2005 verlassen haben, ist die Partei am Boden. Heinz-Christian Strache wird Parteiobmann. Zu seiner Aufbauarbeit gehört ein Interviewbuch, in dem er sich über sein Leben ausfragen lässt. Von seiner Zeit in der Neonazi-Szene sagt er nichts.

Wenig später holt ihn die Vergangenheit ein. Fotos der vermeintlichen Wehrsportübungen werden 2007 publik. Die österreichische Presse druckt auch ein Bild, auf dem er im Burschenschaftleraufzug mutmaßlich einen neonazistischen Drei-Finger-Gruß zeigt - den sogenannten Kühnen-Gruß, der in Deutschland verboten ist. Strache beteuert, er habe lediglich drei Bier bestellt. Vor laufenden Kameras sagt der FPÖ-Vorsitzende: "Ich war nie ein Neonazi und ich bin kein Neonazi."

10. Absolution vom Kanzler

Die Öffentlichkeit in Österreich und auch politische Mitbewerber sind empört - lassen sich aber beruhigen. Maßgeblichen Anteil daran hat der damalige SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer: Er werde niemandem irgendwelche "Jugendtorheiten" ein Leben lang nachtragen, sagt er. Strache erhält Absolution vom obersten Sozialdemokraten. Damit ist die Rücktrittsdebatte beendet.

In Deutschland hätten solche Enthüllungen wohl das Ende einer politischen Karriere bedeutet. Doch in Österreich wird Strache immer erfolgreicher - obwohl die Partei nach rechtsaußen weit offen ist und dafür in der Kritik steht. Wer sich heute unter Österreichern aller politischer Richtungen umhört, stößt vor allem auf eine Meinung: "Das interessiert niemanden mehr."

Weder die Medien noch die politische Konkurrenz thematisieren seine Jahre im rechtsextremen Milieu in diesem Wahlkampf. Eine Koalition mit ihm schließen weder Sebastian Kurz (ÖVP) noch Christian Kern (SPÖ) aus. Da die große Koalition in den vergangenen Jahren mehrfach scheiterte, ist es wohl auch Pragmatismus: Außer mit der FPÖ lässt sich rechnerisch kein anderes Bündnis schmieden.

11. Reue nur vor der Mutter

Dass Strache mit der Verschleierung seiner Vergangenheit erfolgreich ist, liegt auch daran, dass viele Fragen nur einer beantworten kann: er selbst. Doch der FPÖ-Chef bevorzugt es, gewisse Details im Dunkeln zu lassen - oder wie beim SZ-Gespräch in Innsbruck mit dem Interview-Ende zu drohen. Erst als sich die Fragen von den 80er Jahren wegbewegen, lehnt sich Strache in der holzvertäfelten Stube wieder in seinen Stuhl zurück, kommt wieder ins Plaudern.

Dabei bleibt vieles ungeklärt: Wer waren die Männer, mit denen er im Burgtheater von der Empore brüllte? Wie kam er zu Küssels Wehrsportübungen?

Zerknirscht soll sich Strache nur bei seiner Mutter gezeigt haben, die ein Gespräch mit der SZ ablehnt. Aber 2007, als die ersten Fakten bekannt werden, weinen sie beide, erzählte Marion Strache der Zeitung Kurier: Er sei heute nicht mehr der, der er damals war, sagte sie. "Im Innersten bereut er es."

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