Der Herr Otto, ein Bekannter, hat mich kürzlich zum Frühstücken eingeladen. Ich fuhr mit der 71er-Tram zum 9. Bezirk, dem Alsergrund, wo der Herr Otto wohnt, und als ich ihm erzählte, wie ich, nun ja: angereist war, sagte er sofort: „Das heißt sterben bei uns in Wien.“ Bitte, was? „Mit der 71er fahren bedeutet sterben, weil die 71er zum Zentralfriedhof geht.“
Der Herr Otto ist ein Dialektforscher. Er erklärt mir immer, was in Wien was bedeutet, und das macht ungeheuren Spaß. Alleine das, was man am Würstelstand sagt, füllt Abende. Ein „Krokodü“ ist eine Salzgurke, ein „Glasaug“ ist eine eingelegte Perlzwiebel, und wenn man etwas „rasch“ haben will, sagt man „auba jennifer“ (wegen der Sängerin Jennifer Rush). Der Herr Otto ist aber nicht nur Dialektforscher, sondern auch Geschichtenerzähler, und weil er über 70 ist, erzählt er viel von früher. Da fliegen dann, in seiner Wiener Sprachfärbung, Satzfetzen wie „da Machacek hod gsogt“ und „domois in Österreich-Ungarn“ durch den Raum, und man fühlt sich wie in einem Roman von Friedrich Torberg.
An diesem Frühstücks-Vormittag, bei dem zur Wurst „Kindergschiss“, also süßer Senf, auf dem Tisch steht, redet der Herr Otto auch über eine gewisse El Awadalla; das passt gut, denn in einem Buch von El Awadalla geht es um Wiener Fortbewegungsmittel, in diesem Fall um die U-Bahn. El Awadalla klingt maghrebinisch oder nahöstlich und ganz anders als Machacek, aber hinter dem Namen steckt eine Ur-Österreicherin, die Elfriede heißt und den Nachnamen über die Hochzeit mit einem Ägypter erworben hat. El Awadalla ist eine Schriftstellerin, die laut Internet „besonders für ihre Dialekt-Literatur bekannt“ ist. Trivia: Awadalla gewann 2005 in Armin Assingers „Millionenshow“, das ist Österreichs „Wer wird Millionär?“, eine Million Euro.
Der Herr Otto schwärmt also von El Awadalla („ganz schräger Humor“) und gibt mir das Buch mit, es heißt: „Seawas, Grüssi, Salamaleikum. Tiefe und tiefgründige Dialoge in der U-Bahn.“ El Awadalla gibt dort Gespräche in der Wiener U-Bahn oder in U-Bahnstationen wieder, die Geschichten sind meistens herrlich, aber anfangs für Piefkes schwer zu verstehen. Meine Lieblingsszene spielt in der U4 am Schwedenplatz.
Zwei Frauen sitzen dort in einem Waggon, der sonst leer ist, zwei jugendliche Rapid-Fans steigen grölend zu und setzen sich zu den Frauen. „Seiz es Emanzn?“, fragt der eine, also: „Seid ihr Emanzen?“ Als eine Frau bejaht, meint der Rapidler: „Seiz es aa dafia, daas de Bundeshümne umdichd wiad auf Döchdta, haa, des is jo debbadt, waö des reimzi ned.“ (Anm. d. Red.: Am 1. Jänner 2012 wurde die Nationalhymne geändert – neben den „großen Söhnen“ des Landes werden nun auch die „großen Töchter“ des Landes besungen, was politisch korrekt ist, den Liedfluss aber etwas hemmt). Die Frau antwortet: „Waunzd dein Kolleng leisadraast, eaglea i da des.“ Der eine Fan dreht einen imaginären Knopf auf der Brust des anderen, und dieser wird tatsächlich leiser. Dann erklärt die Frau: Sie gehe auch ins Fußball-Stadion (das bringt ihr schon mal Pluspunkte ein) und sie habe die Hymne so umgedichtet: „Heimad bisdtu grossa Madln, voll begnadet in den Wadln.“ Der Fan ist begeistert. „Subpa, hosdes keadt, hosdes keadt“, sagt er zum anderen Rapidler, „des is leiwaund (...) Heast. Emanzn san goaned asso.“
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