MeinungÖsterreich:Willst du in Wien bestehen, musst du den Dialekt verstehen

Kolumne von Gerhard Fischer

Lesezeit: 2 Min.

An Wiener Würstelständen gibt es – Verzeihung, dieser Dialekt ist manchmal deftig – gerne eine große Portion Kindergschiss. Das ist der süße Senf, dargereicht zu Frankfurtern, Käsekrainern, Eitrigen oder Leberkäse. (Foto: Heinz-Peter Bader/dpa)

Wer sich in Wien aufs Deutsche verlässt, wird nur die Hälfte verstehen. Besuch bei einem Dialekt-Abend in der Brigittenau.

Was ist ein „Karottenballett“? Die Frage steht im Raum, der in diesem Fall das Nebenzimmer eines Wiener Wirtshauses ist. Gut 20 Menschen sitzen dort und rätseln. Also, was ist ein „Karottenballett“? Otto Luif (zu ihm später) klärt auf: Es sind die Männer der Müllabfuhr.

Wienerisch müsste man können!

Vorige Woche ist in Österreich, etwas überraschend, der sehr alte Ausruf „heast“ zum Jugendwort des Jahres gewählt worden. Das ist in Zeiten, in denen die Alten „Zeit im Bild“ schauen und die Jungen auf ihr Handy, eine wunderbare Brücke zwischen den Generationen. „Heast! Bist du deppert“, das sagen offenbar alle. Junge, Alte, Zugereiste, Einheimische, Ober und Oberstaatsanwälte.

Ich weiß, was „heast“ bedeutet, aber als Piefke kenne ich so vieles nicht, was in Wien geredet wird. „Krokodü“ (Salzgurke) habe ich schon gehört, ein „Sechzehner Blech“ (Ottakringer Bier) habe ich bereits einmal getrunken, sogar im 16. Bezirk. Aber was ist ein „Drübastrara“, und was kriegt man im Wirtshaus, wenn man „einmal Flughafen“ bestellt?

Otto Luif muss helfen. Der Sprachforscher veranstaltet alle zwei Monate im Gasthaus „Lebenstraum“ in der Brigittenau einen Dialekt-Abend. Ich bin dorthin, vorigen Freitag. Luif hat ein paar Worte vorbereitet, die er fragend in die Runde wirft, manchmal bekommt er sofort eine Antwort, manchmal sagen selbst die älteren Wiener: „Des hab i no nia ghört.“

„Frufruglaserln“? Das sind dicke Brillengläser, weil Frufru Aschenbecher heißt. „Pappnschlosser“? Klar, Zahnarzt, das kann selbst ein Piefke herleiten. „Gelsenhammer“? Ein leichter Schlag. Gelsen sind Mücken. Und mein Favorit: „Eiszapfenschlichter“? Jemand, der eine sinnlose Tätigkeit verrichtet.

Natürlich ist an diesem Abend auch der Würstelstand dran. Ist er doch gerade Weltkulturerbe geworden. Ein Teilnehmer verteilt eine Liste mit Wiener Wörtern, die man am Würstelstand braucht: „Oaschpfeiferl“ (scharfer Pfefferoni), „Auba jennifer“ (aber rasch, wegen der Sängerin Jennifer Rush) und eben „Drübastrara“, was Schnaps bedeutet (bei „einmal Flughafen“ bekommt man übrigens ein Schwechater Bier).

Pause. Es ist schwer, sich das alles zu merken. Was war noch mal ein „Kobara“? Ach ja, der Besitzer vom Würstelstand. „Kobara “ kommt übrigens aus der Gaunersprache und steht auch für Zuhälter.

H.C. Artmann beherrschte, bist du deppert, zwölf Sprachen

Nach der Pause treten Erwin Leder und Heinz Jiras auf. Leder, 73, ist Schauspieler, er war im Film „Das Boot“ der Obermaschinist Johann, genannt „Das Gespenst“. Er war unheimlich. „Danach war ich auf durchgedrehte Narren festgelegt und dafür gab's zu wenige Rollen“, sagt Leder. Er fuhr Taxi und kellnerte – und brachte jenen, die es haben wollten, ein „Tschopperlwossa“ (Himbeerwasser) oder Frankfurter mit „Kindergschiss“ (süßer Senf).

Leder kam irgendwann zur Schauspielerei zurück, arbeitete als Regisseur und Sprecher. An diesem Abend erinnerte er mit seinen Texten an den Dichter H. C. Artmann (der, bist du deppert, zwölf Sprachen beherrschte!) und Heinz Jiras spielte mit dem Akkordeon dazu, pardon: mit der Quetschn. Einen Satz von Jiras habe ich, der Stippvisiten-Wiener, mit in die kalte Nikolausnacht hinaus genommen. Er sagte: „Wer es nur mit Deutsch probiert, ist in Wien nicht integriert.“

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