MeinungÖsterreich:Wie junge Männer eine Zugfahrt eskalieren lassen

Kolumne von Gerhard Fischer

Lesezeit: 2 Min.

Der Schriftsteller Daniel Glattauer hat einen Roman geschrieben, der „In einem Zug“ heißt. Sein Protagonist fährt von Wien nach München. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Manchmal liebt man Menschen nur in ihrer Abwesenheit. Oder: Wie eine Bahnfahrt zwischen Wien und München eskalieren kann.

Neulich bin ich wie Daniel Glattauer (oder besser: wie seine Romanfigur Eduard Brünhofer) mit dem Zug von Wien nach München gefahren. Glattauer hat ein Buch geschrieben, das „In einem Zug“ heißt, was man räumlich (man sitzt in einem Zug) verstehen kann oder als Aufforderung, den Roman in einem Zug zu lesen, also zügig, ohne Unterbrechung, rasend schnell. Brünhofer hockt also im Zug, und zwischen Wien-Hütteldorf und Sankt Pölten denkt er das: „Schräg gegenüber von mir sitzt eine Frau mittleren Alters. Oder eher frühen mittleren Alters.“ Die Frau tut nichts. „Sie liest nicht, sie hört nicht, sie schläft nicht (...) Menschen, die einfach mal nichts tun, fallen sofort auf.“ Brünhofer hat Angst, dass sie ihn anspricht. „Ich liebe zwar Menschen, ich liebe sie wirklich, aber eher schriftlich und durchaus in ihrer Abwesenheit.“ Dann spricht sie ihn an.

Nun zu meiner Reise von Wien nach München. Ich sitze bereits einige Minuten im Zug, als zwischen Wien-Hauptbahnhof und Wien-Meidling drei junge Männer vor mir Platz nehmen. Einer trägt eine Kappe, einer Tattoos auf beiden Armen und einer Vollbart und eine große Hornbrille; der Bart-Brille-Mann wirkt gepflegt. Sie scherzen viel, sie lachen viel und sie sind hilfsbereit – sie heben die Koffer von zwei mitreisenden Frauen in den Gepäckträger. Dann packen sie ihre Karten aus, spielen „Böhmisch Watten“, und der Vollbart holt Bier.

Es wird immer lustiger, die Jungs spielen unablässig Karten (wir haben mittlerweile Sankt Pölten passiert), aber sie haben trotzdem noch Zeit, mit den Fahrgästen zu reden. Der Vollbart erzählt, er habe ein Geschäft eröffnet, und die beiden Freunde hätten ihm dabei geholfen. Jetzt fahren sie auf eine Messe nach München. Die Biere, die gehen auf ihn, Ehrensache. Er holt die nächsten.

Wir passieren Amstetten und wir passieren Linz, und der Vollbart hat bestimmt schon 20 Biere geholt. Es gibt Menschen, die werden ruhig oder sentimental, wenn sie Bier trinken. Dazu gehören die drei definitiv nicht. Es gibt Menschen, die werden sehr laut, wenn sie Bier trinken. Dazu gehören sie. Und es gibt Männer, die werden primitiv, wenn sie Bier trinken. Dazu gehören sie auch. Kurz vor Salzburg rülpst einer von ihnen. Der Vollbart rüffelt ihn, holt aber noch mehr Bier.

Salzburg liegt hinter uns, und die Sache eskaliert. Der Tätowierte geht zur Toilette, was er lauthals verkündet, und natürlich sagt er nicht, er gehe Hände waschen oder sich die Nase pudern. Er sagt: „Ich gehe ...“ Sie wissen schon. Liebt man solche Menschen eher in ihrer Abwesenheit?

Es wird noch schlimmer, noch lauter, noch primitiver, aber die anderen Fahrgäste sagen nichts. Die jungen Männer laufen aus dem Ruder, das schon, aber sie sind ja irgendwie harmlos und gar nicht so dumm, oder? Als ob sie genau das beweisen wollten, machen sie nun, zwischen Rosenheim und München, ein Wissens-Spiel. Einer nennt ein Land, die beiden anderen müssen die Hauptstadt dazu wissen. Eine Zeit lang geht es gut, Kopenhagen gehört zu Dänemark, klar, Bukarest zu Rumänien, aber dann fragt der Vollbart nach der Hauptstadt von Hawaii, und der Tätowierte sagt: „Hanoi.“

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