Österreich-Kolumne:Corona-Botschaften

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Kanzler Kurz mit seinem grünen Regierungspartner politisch verantwortlich dafür, dass die Schutzmaßnahmen zu spät verschärft wurden - nun grassiert das Virus in Österreich so stark wie in kaum einem anderen Land. (Foto: REUTERS)

Das Verhältnis zwischen Erreichtem und Erzähltem stimmt in Österreich nicht. Das gilt für die türkis-grüne Regierung von Kanzler Kurz auch in Zeiten der Pandemie.

Von Vinzent-Vitus Leitgeb

Wenn Sie häufiger auf Twitter sind, haben Sie ihn vielleicht auch gesehen. Diesen Satz, der da seit vergangener Woche an verschiedenen Stellen wieder aufgeploppt ist: "Nicht mehr das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht."

Wahrscheinlich ist er noch viel älter, aber 2009 tauchte er schon einmal auf - in einem Kabarett-Programm von Alfred Dorfer. Da machte er sich über Männer lustig, die einem im Prinzip alles als Chance verkaufen wollen: "Nicht mehr die Wirklichkeit ist wichtig, sondern Interpretation."

In der Politik würde man sagen, es kommt nur auf das richtige Framing an, den richtigen Spin. Vergangene Woche haben den Satz deshalb vor allem Kritikerinnen und Kritiker von Sebastian Kurz verwendet. Der Bundeskanzler ist auch hier in Deutschland bekannt für seinen kontrollierten Kommunikationsstil.

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Auch wenn Merkel, Söder und Kurz es mitunter so klingen lassen: Nein, es ist nicht jeder soziale Kontakt einer zu viel. Über die teils verheerende Sprache der Politik in der Pandemie.

Von Kurt Kister

Seine Message Control hatte unter der türkis-blauen Regierung ihre Hochphase. Und nicht, dass damals nichts erreicht oder umgesetzt wurde, aber jedes noch so kleine Vorhaben wurde eben vier bis fünf Mal in unterschiedlichen Settings der Öffentlichkeit präsentiert, um den Eindruck von ungebremstem Reformeifer zu erzeugen. Das Verhältnis zwischen Erreichtem und Erzähltem stimmte dabei nicht immer.

In der Corona-Pandemie, unter Türkis-Grün, wird das noch viel deutlicher. Österreich ist seit diesem Dienstag in einem zweiten Lockdown, wie Sie auch hier im Video-Kommentar von Leila Al-Serori sehen. Derzeit gibt es mehr als 110.000 aktive Covid-19-Fälle. Die 7-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen in den abgelaufenen sieben Tagen je 100.000 Einwohner, liegt aktuell bei 479. Am Mittwoch sind erstmals seit Beginn der Pandemie mehr als 100 Menschen binnen 24 Stunden an Corona gestorben.

Von dem von Kanzler Kurz Ende August beschworenen "Licht am Ende des Tunnels" ist derzeit nichts zu sehen, stattdessen sicherte sich das Land vorübergehend den Spitzenplatz bei der Rate der Neuinfektionen weltweit . Während die Bundesregierung zwar selbstbewusst auftritt wie eh und je, schwindet das Vertrauen. Und Kanzler Kurz kennt viele Schuldige, wenn es um die Zögerlichkeit bei den Corona-Maßnahmen geht.

Dabei hat auch seine ÖVP gerne mitgezaudert, wie Cathrin Kahlweit in ihrem Kommentar schreibt . Das Prinzip, auf kurzfristige Erfolge zu setzen, ständige Themenwechsel zu machen und kleine Reformen groß zu verkaufen, scheint in der lang anhaltenden Pandemie nicht mehr so gut zu funktionieren.

Nicht mehr das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht - Sebastian Kurz würde dieser Beschreibung seiner Politik sicherlich widersprechen. Am Sonntag kündigte er dafür das nächste ehrgeizige Projekt an, ohne dass davon offenbar das Gesundheitsministerium etwas wusste: Massentests, Anfang Dezember, nach dem Vorbild der Slowakei, wo fast alle Bürger getestet wurden. (Lesen Sie hier, warum die Ergebnisse der Massentests in der Slowakei umstritten sind.)

Testserie für alle? Klingt zumindest gut

An diesem Freitag wurde schließlich bekannt, dass die Massentests zum geplanten Ende des zweiten Lockdowns am 5. und 6. Dezember stattfinden sollen.

Die umstrittene Frage, wie viele Menschen in Österreich letztlich für eine "Masse" nötig sind, wurde ebenfalls beantwortet: 200.000 Lehrer und Kindergartenbetreuer sollen getestet werden, wenig später sollen 40.000 Polizisten folgen. Kurz vor Weihnachten soll es schließlich eine breit angelegte Testserie für die gesamte Bevölkerung geben. Das klingt zumindest gut.

In seinem Essay über die teils verheerende Sprache in Zeiten der Pandemie hat Kurt Kister kürzlich auch über Sebastian Kurz geschrieben. Mit seiner effizienten Temperaturlosigkeit erinnere ihn Kurz an diese Leute, die eine "Konsolidierung der Kosten" ankündigen und damit die Entlassung von 2300 Menschen meinen. Dem ist eigentlich nichts hinzufügen.

Diese Kolumne ist zuerst am 20. November 2020 im Österreich-Newsletter erschienen. Hier kostenlos anmelden.

© SZ vom 21.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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