Österreich:Geben und viel nehmen

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Was sich in der Casinos-Austria-Affäre auftut, ist alles andere als neu in Österreich. (Foto: Roland Schlager/dpa)

In Jahrzehnten ist es zu einer immer stärkeren Verfilzung von Parteien und Konzernen gekommen. Die Casinos-Austria-Affäre schlägt nun Wellen, die das Land tatsächlich verändern könnten.

Kommentar von Peter Münch, Wien

Für die Beteiligten war es vermutlich das ganz normale Procedere. "Do ut des" nennt das der Lateiner (ich gebe, damit du gibst), und der Österreicher spricht von Freunderlwirtschaft und Postenschacher. In diesem Fall war ein Posten zu besetzen bei der teilstaatlichen Casinos Austria AG (Casag). Eine ÖVP-Politikerin wurde zur Generaldirektorin ernannt, und die Regierungspartner von der FPÖ schickten einen der ihren als Finanzvorstand ins Rennen.

Peter Sidlo fehlte zwar offenkundig die Qualifikation, aber er bekam den Job. Bingo, die Strippenzieher verschickten Dankadressen und fröhliche Emojis. Doch mit Verspätung ist plötzlich die Aufregung groß: Die Staatsanwälte ermitteln wegen Korruption, das Parlament ist am Dienstag zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Die Casinos-Austria-Affäre schlägt Wellen, die tatsächlich Österreich verändern könnten.

Sprengkraft hat dieser Fall aus verschiedenen Gründen. Zum einen, weil die Ermittler dem Verdacht nachgehen, dass es im Gegenzug für die Bestallung des FPÖ-Politikers um zusätzliche Spiellizenzen vom Staat für den an der Casag beteiligten Glücksspielkonzern Novomatic ging. Überdies ist dieser Postenschacher nicht wie üblich im Dunst der Hinterzimmer verblieben, sondern ist gut dokumentiert durch sichergestellte Chat-Protokolle, in denen sich unter anderem der frühere FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache und der Ex-ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger austauschen. Und nicht zuletzt herrscht gerade ein günstiges Ermittlungsklima für den Fall, weil seit Anfang Juni in Wien eine überparteiliche Expertenregierung amtiert.

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Was sich da auftut in der Casinos-Austria-Affäre ist allerdings alles andere als neu in Österreich. Zum geflügelten Wort ist ein Ausspruch des damaligen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger geworden, der schon anno 1980 das "Trockenlegen von Sümpfen und sauren Wiesen" gefordert hatte. Die Verfilzung von Parteien und Konzernen, ein System des Gebens und Nehmens, wird seit jeher als eine zur Alpenrepublik gehörende politische Folklore betrachtet. Über Jahrzehnte haben sich die Regierungsparteien ÖVP und SPÖ das Land untereinander aufgeteilt. Die FPÖ, die in der Opposition immer besonders laut dagegen agitierte, war als Regierungspartei dann stets besonders plump auf ihre eigenen Pfründe bedacht.

Die Grünen haben sich offenbar keine Scheuklappen angelegt

So ist die Justiz heute immer noch mit der Aufarbeitung der Vorfälle aus der ersten schwarz-blauen Regierungszeit von 2000 bis 2005 beschäftigt - und nun kommt gleich schon eine neue Causa aus der gerade beendeten zweiten Phase von ÖVP und FPÖ dazu. Die Mühlen mahlen also langsam. Umso wichtiger ist es, den Hebel nun bei einer grundlegenden Veränderung der politischen Kultur anzusetzen.

Eine Chance dazu liegt in den Koalitionsgesprächen zwischen ÖVP und Grünen. Zwar wirft die Casinos-Austria-Affäre auch auf diese Verhandlungen einen Schatten. Denn zu klären bleibt die Frage, was Sebastian Kurz als Kanzler von diesen Vorgängen wusste, in die sein Parteifreund und Finanzminister Löger involviert war. Die Grünen jedoch haben sich offenbar keine Scheuklappen angelegt. Sie fordern schonungslose Aufklärung und einen neuen Regierungsstil. Ein Neuanfang kann nur gelingen, wenn sich die nächste Regierung schon im Koalitionsvertrag klar zur Transparenz und zum Ende von Freunderlwirtschaft und Postenschacher bekennt.

Dieser Text ist zuerst am 27. November 2019 in der SZ erschienen.

© SZ vom 27.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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