Österreich:Bruchlinien an der Donau

Österreich: Schmuckloser Arbeitsbesuch: Ungarns Regierungschef Orbán und Österreichs Kanzler Kurz (rechts) in Wien.

Schmuckloser Arbeitsbesuch: Ungarns Regierungschef Orbán und Österreichs Kanzler Kurz (rechts) in Wien.

(Foto: Joe Klamar/AFP)

Ungarns Premier Viktor Orbán besucht in Wien Bundeskanzler Sebastian Kurz. Der betont zwar Freundschaft zu dem Nachbarn, hält aber zugleich durchaus Distanz.

Von Peter Münch, Wien

Mit dem Zug ist Viktor Orbán angereist, im Railjet dauert es ja nur zwei Stunden und 40 Minuten von Budapest nach Wien. Da bleibt sogar noch Zeit für einen publikumswirksamen Wurstverzehr an einer Imbissbude der Innenstadt, bevor Ungarns Ministerpräsident zum Gespräch antritt bei Österreichs neuem Kanzler Sebastian Kurz. Die Botschaft dieses Zusammentreffens: Zwei Nachbarn zeigen Nähe und demonstrieren ihre Freundschaft. Doch dabei wird zugleich deutlich, dass die jüngst viel beschworene und mancherorts befürchtete Allianz Bruchlinien aufweist.

Als die beiden Regierungschefs nach knapp zweistündigem Gespräch vor die Presse treten, dreht sich natürlich viel um jenes Thema, das Kurz "illegale Migration" nennt und Orbán schlicht "Völkerwanderung". Einig sind sich die beiden, dass die Verhinderung weiterer Flüchtlingsströme eine zentrale Aufgabe der Europäischen Union ist - und dass die EU auf diesem Feld bislang versagt hat. Hier aber stehen nun zwei Männer, die künftig im Verbund dafür sorgen wollen, dass die Abwehrkräfte gestärkt werden. Auch EU-Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen lehnen beide ab. Orbán erklärt das aus nationalen Motiven, Kurz damit, dass eine solche Quotenregelung "nicht funktioniert".

Verschiedene Perspektiven: Die einen zahlen in den EU-Topf, die anderen beziehen daraus

Weitgehende Übereinstimmung besteht überdies darin, die EU-Kompetenzen auf Kernbereiche wie die Sicherheitspolitik und die Sicherung der Außengrenzen zu beschränken. In all diesen Fragen hat Orbán mit dem Regierungswechsel in Österreich einen frischen Verbündeten gefunden. Doch während der ungarische Heißsporn die Wiener Bühne nutzt, um wieder einmal flammend zur "Verteidigung der christlichen Kultur" aufzurufen, setzt Kurz betont moderierend darauf, "Spannungen in Europa abzubauen".

Sichtbar werden da nicht nur Unterschiede in der Mentalität, sondern auch der Interessen. Das fängt damit an, dass die Ungarn zu den Geldempfängern aus Brüsseler EU-Töpfen zählen, während Österreich zu den Nettozahlern gehört und keinerlei Neigung zu zusätzlichen Zahlungen verspürt, die zum Beispiel durch den Brexit nötig werden könnten. Bilateral gibt es aktuell gleich zwei Streitpunkte: Erstens klagt Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Ungarns geplanten Ausbau des Atomkraftwerks Paks - ausgerechnet also gegen eines von Orbáns Lieblingsprojekten, das er mit russischer Hilfe und Milliardenkrediten durchziehen möchte. Zweitens plant die österreichische Regierung eine Anpassung des Kindergelds für EU-Ausländer an das Niveau des Herkunftslandes. Betroffen wären davon fast 40 000 ungarische Familien, deren Ernährer zum Arbeiten nach Österreich pendeln. Kurz nennt das einen "Beitrag zu mehr Gerechtigkeit". Orbán mahnt an, die in Österreich arbeitenden Ungarn "fair zu behandeln".

In dieser Gemengelage scheint die nach der Österreich-Wahl aufgekommene Befürchtung einer neuen innereuropäischen Blockbildung sehr unwahrscheinlich zu sein. Genährt hatte dies damals vor allem Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ, der am Dienstagabend noch mit Orbán zusammenkommen sollte. Er propagierte im Wahlkampf, Österreich könnte der Visegrád-Gruppe aus Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei beitreten, die oft im Clinch mit Brüssel liegt. Davon will in Wien selbst Orbán nichts wissen. Kooperationen könne es aber geben unter der Formel "Visegrád plus".

Kurz erklärt das Ganze zu einer "Debatte, die es in den Medien, aber nicht in der Realität gibt". Er möchte sich hier keinesfalls vereinnahmen lassen. Vom ersten Tag an hat er die "pro-europäische" Ausrichtung seiner Regierung betont und dies durch Reisediplomatie demonstriert: Erst flog er nach Brüssel, dann nach Paris zu Emmanuel Macron und nach Berlin zu Angela Merkel. Erst danach ist nun Ungarns Premier an der Reihe - und nicht Kurz reiste nach Budapest, sondern Orbán stieg in den Zug nach Wien. Dort wurde er zu einem eher schmucklosen "Arbeitsbesuch", nicht zum "Staatsbesuch" empfangen.

Diese Dramaturgie kann bei aller Freundschaftsbekundung auch als Zeichen der Abgrenzung verstanden werden. Während Orbán seinen Platz im europäischen Gefüge längst gefunden hat und in der Rolle des notorischen Störenfrieds reüssiert, sucht Kurz noch nach seinem Alleinstellungsmerkmal innerhalb der EU, das ihm als Regierungschef eines kleineren Mitgliedslandes Aufmerksamkeit und Einfluss sichert. "Brückenbauer" ist die Position, die ihm vorschwebt. Dazu braucht er gute Verbindungen zu allen Seiten, vor allem aber auch eigenen Spielraum. Nutzen will er den dann, wenn Österreich in der zweiten Jahreshälfte den EU-Ratsvorsitz übernimmt.

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