Über den Immobilien-Milliardär René Benko weiß man inzwischen so gut wie alles. Wie er ein Firmenimperium aufbaute, das dann die größte Pleite der österreichischen Wirtschaftsgeschichte hinlegte. Man hat Bilder seiner Luxusvilla in Tirol gesehen und weiß, wie der prächtige Firmensitz in Wien ausgestattet war. Zuletzt hat sich noch seine Ehefrau geäußert und gesagt, dass sie mit den Geschäften ihres Mannes nichts zu tun habe.
Dementsprechend wenig habe ich mir von der Wiener Theateraufführung „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ erwartet, die unlängst am Berliner Ensemble gezeigt wurde. Der Titel klingt nicht zufällig wie ein Lehrstück von Bert Brecht, das Publikum erwartete eine „Lecture Performance“ über Benko und die Geschäfte der Signa Holding. Dementsprechend karg sah es auf der Bühne aus. Ein Tisch, eine Leinwand, um Fotos zu projizieren, dazwischen der Autor und Regisseur Calle Fuhr, der Schlagzeilen über Benko vorlas oder einen Vortrag über Bilanzbuchhaltung hielt.
Meine Skepsis verflog jedoch schnell. Der Theaterabend war nicht nur interessant, sondern auch äußerst kurzweilig. Als Hütchenspieler verkleidet, schob Fuhr Becher hin und her und erklärte, wie Geld zwischen Firmen bewegt werden kann. Als Mathelehrer mit rheinischem Akzent ließ er das Publikum durchrechnen, wie man den Wert von Immobilien aufbläst, und am Ende zeigte er noch Original-Dokumente aus dem Insolvenzverfahren. Am Ende war nicht nur klar, wie Immobilienspekulation funktioniert, sondern auch, wie aktuell Theater sein kann. Der Abend beruhte nämlich auf einer Kooperation mit Journalisten der österreichischen Rechercheplattform Dossier und hatte den Anspruch, neue Dinge ans Licht zu bringen.
Dass Theater als eine Art Investigativmedium funktionieren kann, weiß man spätestens, seit die Erkenntnisse der Rechercheplattform Correctiv über das Geheimtreffen von AfD-Politikern auch als szenische Lesung auf die Bühne gebracht wurden. Weniger bekannt ist, dass diese Art von Performance eine österreichische Erfindung ist. Sie datiert auf das Jahr 2011, als das Land (wieder einmal) von einem politischen Skandal durchgerüttelt wurde. Der war durch Abhörprotokolle ans Licht gekommen, es ging um windige Immobiliendeals und die Machenschaften des Kreises von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Das Problem: Medien durften die hochbrisanten Gesprächsinhalte aus rechtlichen Gründen nicht wörtlich wiedergeben. Also sprangen Kabarettisten ein und brachten die Protokolle im Audimax der Universität Wien auf die Bühne. Als „Vorlesung“, für die das strenge Medienrecht nicht galt.
Dadurch wurde nicht nur einer großen Öffentlichkeit bekannt, wie sich politische Akteure Provisionen zuschanzten und versuchten, diese als erbrachte Tätigkeiten abzurechnen. Sätze wie „Wo war mei Leistung?“ oder „Da bin ich supernackt“ sind in Österreich seither Teil der Alltagssprache. Auch die Kunst hat Möglichkeiten, die Medien nicht haben. Der Theaterabend über René Benko hat gezeigt, wie eindrucksvoll diese genutzt werden können.
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