Es gibt Dort-musst-du-gewesen-sein-Orte für Auslandskorrespondenten. In Schweden ist es Bullerbü, in den USA Las Vegas und in Österreich Bad Gastein. Die 4000-Einwohner-Gemeinde ist mondän, also extravagant, vornehm, von Welt, fashionable. Es gibt einen Wasserfall mitten im Ort, der 341 Meter in die Tiefe stürzt; täglich sprudeln fünf Millionen Liter Thermalwasser aus dem Berg, sodass man die Gehsteige damit heizen kann. Hier kurten und residierten in den Grandhotels der Belle Époque: Sisi und Franz Joseph, die deutschen Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II., die Künstler Arturo Toscanini, Franz Schubert, Arthur Schopenhauer und Thomas Mann.
Aber nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich Bad Gastein. „Es fehlte an Geld für Renovierungen, die Kur verlor an Glanz“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. „Statt der Schickeria kamen Skitouristen, statt Kaiser Kassenpatienten.“ Später standen die Hotels leer (ein Investor hatte sie verrotten lassen), der Ort rang um Bedeutung und Identität, aber heute lebt er wieder.
Manche schreiben, Bad Gastein sei nun ein „Hotspot für Hipster“, ein „Berlin der Berge“, in dem Kreative leben und werkeln, befeuert von der Kunst- und Kulturmanagerin Andrea von Goetz und Schwanenfliess – und ihrem sommerlichen Festival sommer.frische.kunst.
In diesem Jahr wehen 41 Flaggen im Ort und an den Bergen, sehr bunte und manche mit Aufschrift. Die größte misst 70 Quadratmeter und ist an einem Maibaum angebracht, hoch über Bad Gastein, neben dem Almgasthof Windischgrätz. Auf dieser rot-weißen Riesenfahne steht: „Let’s talk about art“. Erwin Wurm hat vier Flaggen beigesteuert, man sieht sie an der Wasserfall-Brücke im Ort, nicht weit entfernt vom Zentrum des Goetz’schen Kultur-Universums, eines ausrangierten Kraftwerks am Fuße des Wasserfalls. Dort fand 2024 eine Kunstmesse mit zehn internationalen Galerien statt, und dort arbeiten nun Künstler von den Hochschulen in Wien, Berlin und London in einem Artist-in-Residence-Programm.
Dennoch: Das ganze Paket macht den Ort speziell, die Kunst, die Architektur, das Morbide, die Lage auf 1000 Metern, die Bäderkur und das Brauchtumsleben – und immer noch der Wintersport. Und die Schweden.
Ja, die Schweden.
Sie kommen im Dezember nach Bad Gastein, fahren Ski, trinken reichlich (so viel Klischee muss sein) und zelebrieren im Hotel Salzburgerhof ihren Julbord, was sich mit „Weihnachtstisch“ übersetzen lässt. Da gibt es Köttbullar, Hacksteak à la Lindström oder eingelegten Hering. Anfangen hat das in den 1960er-Jahren, als sich der Göteborger Reisebürobesitzer Lars Magnusson bei einem Urlaub in Bad Gastein verliebte – und danach Reisen nach Österreich organisierte.
Ich war einmal beim Julbord in Bad Gastein und checkte im Salzburgerhof ein. Ein schwedischer Freund kam kurz danach. Es war schwer, dich zu finden, sagte er. „Ich habe an der Rezeption deinen Namen gesagt und gefragt, auf welchem Zimmer du bist. Da sagten sie: Der kann hier nicht wohnen. Der hat keinen schwedischen Namen.“
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