Österreich:Alarmstufe Rot

Nach der Wahlschlappe diskutieren die österreichischen Sozialdemokraten über einen Neustart - und über ihre Vorsitzende, die keine Hausmacht hat.

Von Peter Münch, Wien

Parliamentary election in Austria

Am Wahlabend zeigt sich eine SPÖ-Anhängerin mit einem Anstecker mit dem Gesicht der Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner. Die ist intern mehr als umstritten.

(Foto: Bernadette Szabo/Reuters)

Nach herben Niederlagen ist es immer schwer, die richtigen Worte zu finden. Da gilt es in der Politik vor allem, den Kopf oben zu halten. Als also die Sozialdemokraten Österreichs bei der jüngsten Parlamentswahl auf ihr historisch schlechtestes Ergebnis seit 1945 absackten, da trat die Parteichefin Pamela Rendi-Wagner vors Publikum und sagte mit Blick aufs Debakel: "Die Richtung stimmt." Seither brodelt es in der SPÖ, und über die Richtung wird heftig gestritten. Einen "Erneuerungsprozess" hat die Parteiführung angekündigt, manche fordern gar schon eine "Neugründung" der traditionsreichen Partei.

Die Aufregung ist auch deshalb so groß, weil das Ergebnis vom 29. September kein einmaliger Ausrutscher, sondern das Resultat eines fast stetigen Niedergangs ist. In den glorreichen Siebzigerjahren regierte die SPÖ mit Bruno Kreisky an der Spitze das Land mit absoluten Mehrheiten. Noch 2006 eroberte der SPÖ-Politiker Alfred Gusenbauer das Kanzleramt mit gut 35 Prozent der Stimmen. Danach regierten dann noch bis 2017 Sozialdemokraten am Wiener Ballhausplatz. Heute aber ist die SPÖ, die sich immer noch als "staatstragende Partei" definiert, bei 21,2 Prozent angekommen und liegt um mehr als 16 Prozentpunkte hinter der ÖVP von Sebastian Kurz.

Mit Verspätung folgt also auch die SPÖ dem europäischen Trend, der für die Sozialdemokraten fast überall nach unten weist. In Österreich sind es mittlerweile gleich drei politische Lager, an die Stimmen verloren gehen. Seit den Neunzigerjahren schon wandern die Arbeiter zur FPÖ ab. 2019 wählten 48 Prozent von ihnen die Freiheitlichen, 23 Prozent die Sozialdemokratie. Stark verloren hat die SPÖ auch an die Grünen, die im Vergleich zu 2017 ihren Stimmenanteil auf 13,9 Prozent mehr als verdreifacht haben. Jeder dritte Grün-Wähler kam von der SPÖ. Schließlich ist es auch noch der ÖVP gelungen, bei einer anderen Kernklientel Stimmen abzuziehen: bei den Pensionisten. Bei den Jungwählern unter 30 Jahren rangieren die Sozialdemokraten ohnehin abgeschlagen nur noch auf dem vierten Platz hinter den gleichaufliegenden Grünen und der ÖVP sowie der FPÖ.

Auf den Absturz hat die SPÖ schnell und auf gewohnte Art reagiert: mit einem ersten Personalwechsel. Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda, der als engster und womöglich einziger Vertrauter der Parteichefin Rendi-Wagner galt, trat am Tag nach der Wahl von seinem Amt zurück. Ersetzt wurde er im Eiltempo durch Christian Deutsch - und damit ausgerechnet durch jenen Mann, der als Wahlkampfmanager für das niederschmetternde Ergebnis zumindest mitverantwortlich zeichnet.

Auch die Frage nach einer Koalition mit der ÖVP ist umstritten. Rendi-Wagner ist offen dafür

Auch Rendi-Wagner selbst geriet umgehend in die Kritik, die nicht immer auf höchstem Niveau artikuliert wurde. Der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer zum Beispiel argumentierte, dass "eine Frau mit Doppelnamen" keine Wähler von der FPÖ zurückgewinnen könne. Ihr größter parteiinterner Rivale Hans Peter Doskozil ließ gönnerhaft wissen: "Ich bin und will Landeshauptmann im Burgenland bleiben." Als Vorsitzende ist Rendi-Wagner also wohl vor allem deshalb noch unangefochten, weil gerade niemand sonst den Posten will. "Wir brauchen jetzt nicht über einzelne Personen zu diskutieren", ergänzte Doskozil, "wir haben tiefgründigere Probleme".

Zuvörderst zählt dazu allerdings, dass fast schon traditionell nicht alle an einem Strang ziehen in der SPÖ. Rendi-Wagner, die erst vor gut zwei Jahren der Partei beitrat und vor zehn Monaten an die Spitze gewählt wurde, verfügt über keinerlei Hausmacht. Der neue Bundesgeschäftsführer Deutsch, der ihr nun zur Seite gestellt wurde, wirkt wie ein Aufpasser aus der einflussreichen Wiener Landes-SPÖ. Aus anderen Parteigruppierungen waren dann auch gleich Vorbehalte gegen seine Bestallung zu hören. Zwei Vorstandsmitglieder aus Oberösterreich sowie die Vertreter der SPÖ-Jugend aus Oberösterreich verließen bei seiner Wahl sogar aus Protest den Saal. Seine Zusammenarbeit mit der Bundespartei eingestellt hat "bis auf Weiteres" der SPÖ-Chef aus der Steiermark, Michael Schickhofer. Er hat im November eine Landtagswahl zu bestehen und deshalb die Brandmauer hochgezogen.

In dieser Lage muss sich die SPÖ nun auch noch sammeln für die Sondierungsgespräche, die der Wahlsieger Kurz in nächsten Tagen mit allen ins Parlament gewählten Parteien führen will. Doskozil hat aus dem fernen Burgenland schon eine Warnung an die Bundes-SPÖ ausgesprochen: "Jetzt den Mehrheitsbeschaffer zu geben, hielte ich für einen Fehler." Rendi-Wagner scheint offener zu sein für eine Koalition mit der ÖVP, doch die Stimmung in der Partei geht eher in Richtung Opposition. Dort erhofft man sich eine Gesundung. In den zurückliegenden anderthalb Oppositionsjahren hat das allerdings auch nicht geklappt.

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