Ölpreis:Vernichtende Folgen für den Nahen Osten

Flames are seen at a station in al-Zubair oil field, near Basra

Verlässliche Quelle bisher: Ölfeld nahe der irakischen Stadt Basra.

(Foto: REUTERS)

Die Region ist vom Öl abhängig. Nun wird zur Gesundheits- noch eine Wirtschaftskrise hinzukommen. Einige Staaten trifft das besonders hart.

Kommentar von Moritz Baumstieger

Zwei Flüssigkeiten gibt es, um die im Nahen Osten schon mehrfach Kriege geführt wurden. Ohne die eine, das Wasser, kann kein Mensch überleben. Ohne die andere, das Öl, überlebt kaum eine der Volkswirtschaften in der Region, zu stark sind viele Staaten vom Export abhängig. Am Anfang dieser Woche brach der Ölmarkt in den USA ein, auf dem Papier überstieg der Preis einer Flasche Wasser den eines Fasses Öl. Dass sich dadurch nun eine der Hauptkonfliktursachen im unruhigen Nahen Osten in Luft auflöst, ist leider nicht zu erwarten. Der Preisverfall am Ölmarkt wird im Gegenteil für Millionen Menschen in der Region verheerend werden.

Die wohlhabenden Monarchien - das Königreich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait - trifft die Entwicklung ohne Frage hart. Die Schatztruhen der Golfmonarchien werden zu weiten Teilen aus dem Rohstoffgeschäft gefüllt, die ehrgeizigen Diversifikationspläne für ihre Volkswirtschaften, wie etwa die "Vision 2030" von Kronprinz Mohammad bin Salman in Saudi-Arabien, greifen erst in einigen Jahren, wenn sie denn überhaupt Ergebnisse tragen werden.

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Größere Umwälzungen wird eine vorübergehende Flaute am Ölmarkt jedoch nicht einleiten, selbst wenn sie mit einer pandemiebedingten Rezession einhergeht. Die finanziellen Reserven sind noch groß, die Produktionskosten niedrig genug, um die Krise auszusitzen. Sogar den teuren Krieg in Jemen wird sich Saudi-Arabien weiter leisten können.

Im Wortsinne vernichtende Folgen könnte der Preisverfall jedoch in jenen Staaten und Gebieten entfalten, die ebenso abhängig vom Rohstoffgeschäft sind, durch Dauerkrisen aber bereits am Abgrund stehen: im mit Sanktionen belegten Iran, im durch Terror, Proteste und Regierungskrisen paralysierten Irak, im Bürgerkriegsland Libyen. In der Mangelwirtschaft der autonomen kurdischen Gebiete in Syrien und der des Rumpfstaats von Machthaber Baschar al-Assad.

Die Ölquellen sprudeln überall hier zwar schon lange nicht mehr so, wie sie es theoretisch könnten, bildeten aber immerhin eine einigermaßen verlässliche Konstante. Eine, die zur Bewältigung der Coronakrise dringender denn je benötigt würde: Die Bilder etwa von menschenleeren Basaren, die sich hier und da in Fotogalerien verirren, wirken malerisch. Doch sie täuschen darüber hinweg, was ein Lockdown in Gesellschaften mit wenig oder kaum Reserven bedeutet. Schon reiche Industrienationen schmerzt die Zwangspause der Wirtschaft, hier jedoch geht es schnell ums Überleben: Viele Menschen arbeiten im informellen Sektor, nach wenigen Tagen öffentlichen Stillstands stehen sie gänzlich ohne Mittel da.

Gigantische Hilfspakete auflegen konnten die Staaten der Region schon vor der Marktkapriole vom Montag nicht, sie schaffen es ja kaum, ihr Gesundheitssystem mit den am dringendsten benötigten Dingen auszustatten. Jetzt sind solche Programme undenkbar: Die meisten Regierungen der Region haben ihre Budgets mit Einnahmen zwischen 50 und 60 Dollar pro Barrel kalkuliert, etwa Irak stand bereits vergangene Woche kurz davor, seine vielen Beschäftigten im öffentlichen Sektor bald nicht mehr bezahlen zu können.

Nun addiert sich zur Pandemie der Infarkt am Ölmarkt. Über dann auch noch ausbleibende Niederschläge und die Anzeichen für einen weiteren Dürresommer mag man gar nicht nachdenken.

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