Das Wort, das den Charakter des zweiten Ökumenischen Kirchentags in München beschreibt, heißt: trotzdem. Trotz des schlechtesten Wetters seit der Erfindung kirchlicher Großereignisse blieb die Stimmung unter den insgesamt 160.000 Christen gut; trotz der Missbrauchsskandale und des Rücktritts eines katholischen Bischofs dominierte das Thema nicht das Treffen; trotz ihres Rückzugs als Bischöfin und Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche begeisterte Margot Käßmann ihre Fans.
Und trotz des Stillstandes in der Ökumene gingen Katholiken und Protestanten freundlich und pfleglich miteinander um. Der zweite Ökumenische Kirchentag war nicht visionär, vorwärtsdrängend, optimistisch. Er war gedämpft und da, wo er gut war, nachdenklich, in seinen Antwortversuchen demütig. Und er war ein bisschen trotzig: Es gibt uns noch, uns Christen. Hurra, wir leben noch.
Der Kirchentag inmitten der Kirchenkrise war keine Zeitansage für die Welt, er war auch nicht so sehr Resonanzboden für die Themen, die zur Zeit das Land umtreiben. Er war mehr als die Treffen vor ihm eine Tankstelle für Christen, deren Treibstoffvorrat auf Reserve steht.
Eine Tankstelle für jene, die sich in der Schule, an der Uni oder am Arbeitsplatz dafür rechtfertigen müssen, dass sie noch Kirchenmitglied sind, die sich mit zunehmendem Frust in ihrer Kirche engagieren - wenn sie evangelisch sind, weil dort der Abbruch aller Traditionen spürbar ist wie nie zuvor, wenn sie katholisch sind, weil sie die Starre von Leere und oberster Leitung zunehmend selber erstarren lässt.
Wer so fühlt, der konnte tanken in München, ob beim Taizé-Gebet oder bei Margot Käßmann, bei den politischen und theologischen Foren oder einfach beim Verzehr fair gehandelter Bratwurst. Das ist auch der Grund, weshalb auf diesem Ökumenischen Kirchentag der politische und theologische Streit ausblieb, obwohl es genug zum Streiten gegeben hätte: An der Tankstelle streitet man nicht, man tankt.
In diesem Sinne ist das zweite Ökumenische Treffen ein Erfolg. Ein Erfolg, der nicht richtig fröhlich stimmt. Denn die Frage nach konkreten Ergebnissen fällt ernüchternd aus. Der Ruf so vieler Katholiken danach, dass ihre Kirche endlich ihr Verhältnis zu Sexualität und Macht ändert, dass sie ihre Denk- und Diskussionsverbote stürzt - er wird verhallen, abprallen spätestens an den Mauern des Vatikans.
Der Wunsch, dass die Kirchen ihre Unterschiede in der Lehre nicht mehr als kirchentrennend begreifen, wird so schnell nicht in Erfüllung gehen; schon jetzt scheint es fast ausgeschlossen zu sein, dass beim nächsten, beim dritten Ökumenischen Kirchentag Katholiken und Protestanten gemeinsam zum Abendmahl gehen können.
Was die Referenten und Diskutanten zu Krieg und Frieden zu sagen hatten, zu Wirtschaft und Ethik, Glaube und Wissenschaft, zum Zusammenleben der Religionen, das war oft klug und manchmal jenseits des täglich Gesagten. Aber es konnten nur begrenzte Antworten sein in einer Zeit, die nur begrenzte Antworten kennt. Antworten, gegeben unter dem Vorbehalt der kirchlichen Glaubwürdigkeitskrise.
Der zweite Ökumenische Kirchentag hat damit ziemlich realistisch den Zustand der beiden großen Kirchen in Deutschland gespiegelt: Es geht ihnen nicht so schlecht, wie man nach der Berichterstattung der vergangenen Monate manchmal meinen könnte.
Aber sie können in ihrer vielfältigen Krise nicht sein, was sie jetzt für das ganze Land sein müssten: Zeichen der Hoffnung und der Orientierung, Propheten eines menschenwürdigen Lebens, Orte, an denen die Maßstäbe der Welt durchbrochen werden. Genügt das, um einen dritten Ökumenischen Kirchentag zu rechtfertigen, vielleicht in sieben Jahren, zum Lutherjahr 2017?
Es genügt vielleicht, wenn das Treffen noch stärker zur Tankstelle wird, zur Selbstvergewisserungs-, Bildungs- und Wiedersehensveranstaltung für hunderttausend und mehr Frauen und Männer, die ähnlich denken und fühlen. Es genügt auf keinen Fall, wenn der dritte Ökumenische Kirchentag ein Zeichen sein soll, in die Gesellschaft hinein, in die Kirchen hinein.
Immerhin: Ein bisschen Mut macht das Münchner Treffen des großen Trotzdem aber schon. Es war das Treffen der mündigen katholischen und evangelischen Christen, die sich nicht unterkriegen lassen wollen - sie werden in den kommenden Jahren die Sache Jesu und ihrer Kirchen in die Hand nehmen müssen, wenn auf den obersten Leitungen der Mehltau klebt.
Es war auch das Treffen der tausend Gruppen und Initiativen, die unverdrossen gegen den Klimawandel und für ein besseres Verständnis von Christen und Muslimen werkeln, für Kinderrechte und gegen Armut; es war das Treffen derer, die Räume der Stille und des Gebetes gegen den überallgleichzeitigen Lärm des Alltags bieten, ein Gut, nicht weniger knapp bemessen als das Geld für die Armen.
Sie tun und werkeln und schweigen trotz aller Krise. Trotzdem zu sagen, ist auch eine Form der Hoffnung: Sie akzeptiert nicht, was vorgegeben zu sein scheint, sie setzt sich zornig gegen das angeblich Unumstößliche.
Das ist auch eine Botschaft des Münchner Christentreffens: Manchmal ist man aus Verzweiflung gut.