Ökonomie:Wunsch nach Wachstum

Ökonomie: Ferdinand Knauß: Wachstum über Alles? Wie der Journalismus zum Sprachrohr der Ökonomen wurde. Oekom-Verlag München 2016, 192 Seiten, 24,95 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

Ferdinand Knauß: Wachstum über Alles? Wie der Journalismus zum Sprachrohr der Ökonomen wurde. Oekom-Verlag München 2016, 192 Seiten, 24,95 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

Ferdinand Knauß hat eine bemerkenswerte Studie über allzu unkritische Wirtschaftsjournalisten seit den 1920er-Jahren vorgelegt.

Von Felix Ekardt

Wachsender Wohlstand macht manchen glücklich und manchen nicht, und Rentenversicherung und Arbeitsmarkt bräuchten ohne Wachstum eine grundlegende Reform. Dennoch führt ökologisch an einem Abschied vom ewigen Wachsen kaum ein Weg vorbei. Über diese Fragen wird seit Jahren intensiv debattiert. Was bisher kaum thematisiert wurde: Welche Rolle spielt eigentlich der Wirtschaftsjournalismus beim Aufstieg und der durchaus fortbestehenden Popularität eines - und zwar unreflektierten - Wachstumsdenkens? Der Journalist Ferdinand Knauß ist ins Archiv gegangen und hat die Printmedien seit den 20er-Jahren gründlich ausgewertet. Er zeigt, wie seitdem parallel in Wirtschaftswissenschaft, Politik und Zeitungen aus einem allgemeinen Wunsch nach mehr Wohlstand der moderne Glaube ans Bruttoinlandsprodukt und seine ewige Zunahme wurde. Den Ausgangspunkt sieht er in der Geschichtsvergessenheit und Mathematisierung der Ökonomik.

Knauß zeigt, wie sich der Wirtschaftsteil von Zeitungen jenseits bloßer Börsendaten parallel zum Aufstieg des Wachstumsgedankens erst entwickelte. Er weist nach, dass die journalistische Rezeption eines mathematischen Bruttoinlandsprodukts und seiner ständigen Steigerung als Kernidee von Politik quasi kritiklos vonstatten ging. Die Frage klassischer Ökonomen aus dem 19. Jahrhundert, ob ewige Wohlstandsmehrung wünschenswert und überhaupt möglich sei, ging dabei weitgehend unter. Begründete Zweifel artikuliert Knauß auch, soweit aktuell in Wissenschaft und Medien die ewige technische Innovation und die Migration weithin als letzte Hoffnung für immerwährendes Wachstums trotz aller Wachstumskritik hochgehalten werden.

Interessant wären noch Ausführungen dazu gewesen, dass die vollständige mathematische Abbildung hochkomplexer Volkswirtschaften - ob nun mit oder ohne Wachstum - schon an sich ein hoffnungsloser Fall sein dürfte. Ausgelassen wird auch die weit hinter die Wachstumsdiskussion zurückreichende Geschichte der Idee von Wohlfahrtssteigerung und Fortschritt. Sie müsste nicht nur zur britischen Aufklärung eines Smith, Hume und Hobbes und zur Genese moderner Naturwissenschaften zurückführen. Sie müsste auch die Kapitalismus-, Christentums- und Protestantismusgeschichte einbeziehen. Jenen kulturellen Formationen und dem durch sie induzierten Streben nach endloser Rationalisierung und einem Paradies auf Erden ist die vermeintliche Selbstevidenz des Wachstums maßgeblich geschuldet. Ungeachtet dessen hat Knauß ein sehr lesenswertes Buch vorgelegt.

Felix Ekardt leitet die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin und lehrt an der Uni Rostock.

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