Not ist zäh. Weltweit sind 700 Millionen Menschen extrem arm; 2,8 Milliarden leben in Regionen, die sich dem Lebensstandard der reichen Welt nicht annähern. Unterentwicklung ist allzu oft Folge falscher Wirtschaftspolitik und kleptokratischer Eliten, das zeigt die aktuelle Armutsentwicklung in Afrika. Die Fortschritte der Nullerjahre im Kampf gegen Bedürftigkeit oder Infektionskrankheiten sind dort ins Stocken geraten. Trotz Bemühungen von IWF und Weltbank liegt das inflationsbereinigte Durchschnittseinkommen der Subsahara-Staaten nur knapp über dem Niveau von 1970, so das britische Magazin The Economist. In weiten Teilen Afrikas scheint Armut so tief verwurzelt zu sein wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Es finden sich allerdings auch Orte, die mal wohlhabend waren, heute jedoch abgeschlagen sind: arme Regionen in reichen Ländern, wie das englische South Yorkshire, oder abgehängte Länder wie Sambia und Kolumbien. Warum ist das so, warum verarmen manche Landstriche und andere nicht? Fragen, die Paul Collier seit Langem begleiten. Der britische Wirtschaftswissenschaftler befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Armut, Kriegen und Migration, mit der Kluft zwischen erfolgreichen und rückständigen Regionen. „Aufstieg der Abgehängten“ erklärt, so der Klappentext, weshalb bestimmte Regionen den wirtschaftlichen Anschluss verloren haben und was geschehen muss, damit sie wieder aufholen können.
Vernachlässigte Orte und ihre Probleme
Das Buch beginnt im einst florierenden Sheffield, das seit den 1980er-Jahren den Bach runtergeht – nicht zuletzt weil talentierte Menschen abwandern. Berühmtheit erlangte das Schicksal Sheffields 1997 mit der britischen Filmkomödie „The Full Monty“. Auch der 75 Jahre alte Sir Paul Collier ist in Sheffield aufgewachsen, aber weggezogen und lehrt als Professor für Ökonomie an der Universität Oxford; zwischendurch leitete er die Forschungsabteilung der Weltbank.
Ein wichtiger Grund für den Zustand Sheffields sei seine geringe Kontrolle über sein Schicksal. England sei ein stark zentralisiertes Land mit einem übermächtigen Finanzministerium, das Projekte, die armen Gegenden helfen könnten, im Keim ersticke, argumentiert Collier. Vernachlässigte Orte neigten dazu, sich an Politiker zu hängen, die einfache Lösungen für ihre Probleme versprechen.
Als löbliches Gegenbeispiel nennt er das amerikanische Pittsburgh: Mit dem Niedergang der Stahlindustrie in den 70er-Jahren machten dort etliche Werke dicht, die Einwohnerzahl halbierte sich. Doch die Stadt lockte neue Firmen vor allem aus dem Hightech-Sektor an und mit ihnen hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Bürgermeister, Gouverneur und die ortsansässigen Banken und Universitäten arbeiteten Hand in Hand. Pittsburgh konnte sich neu erfinden und steht heute auf Platz zwölf der erfolgreichsten US-Städte.

Oder Botswana, seit Jahrzehnten das Vorzeigeland Schwarz-Afrikas, auch dank Diamantenreichtums: Während in vergleichbaren Ländern die Bodenschätze zu Verteilungskämpfen, Korruption und Kriegen führen, verstanden es die Präsidenten dieses dünn besiedelten Binnenstaats, die Erträge aus den Edelsteinen klug und vernünftig zu nutzen.
Collier präsentiert plausible Beispiele, freilich mangelt es dem Buch an Überblick und Stringenz. „Aufstieg der Abgehängten“ ist sprung- und flatterhaft. Einem begeisterten Eichhörnchen gleich, das für die verlockendsten Nüsse von Ast zu Ast, von Baum zu Baum springt, schlingert Collier zwischen Regionen, Städten, Epochen, Staatslenkern, Disziplinen und Theorien, Anekdoten und Erlebnissen und trägt Unmengen von Ideen, Notizen, Thesen, Zitaten aus seinen Forschungsjahrzehnten zusammen. Dabei vergisst er, das Konvolut zu ordnen. Die Kernfragen verlieren sich in einem wirtschaftswissenschaftlichen Wimmelbild.

Auch hinken einige Vergleiche, etwa zwischen dem schottischen Glasgow und dem ostafrikanischen Somalia. Beiden wurden, so Collier, „lokale Handlungsfreiheiten entzogen, sie wurden vernachlässigt und einem wenig sachkundigen Mikromanagement von außen unterworfen“. Das ist angesichts kriegerischer Clans und Dschihadisten in Somalia genauso weit hergeholt wie seine Parallele zwischen der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) und reichen Utopisten in Kalifornien. ZAR gilt als „failed state“, manche US-Westküstler wiederum träumen, nun gut, von vollkommener Freiheit in Form eines abwesenden Staats. Colliers seltsame Schlussfolgerung dieses seltsamen Vergleichs: „Aber erinnern wir uns daran, dass keiner der Milliardäre dorthin ausgewandert ist, denn reiche Ausländer wären in Gefahr.“
„Verbitterte Feindseligkeit“ der Abgehängten
Viele Sätze sind umständlich: „Kognitive Gadgets sind spezifische, mühsam errungene Antworten auf komplexe Probleme, die eine Gemeinschaft früher einmal gefunden hat und an die sie sich erinnert, weil sie sich bewährt haben. Da es entscheidend auf den Kontext ankommt, sind in der ersten Phase der Umkehr der Abwärtsspirale womöglich andere Gadgets nützlich als in der Phase, in der es um die Beschleunigung von Erneuerungsprozessen geht, die bereits im Gang sind.“ Manche Passagen bleiben unverständlich: „In einem abgehängten Land ist es ein Verzicht seitens des Selektariats (sic), das die Macht hat. In abgehängten Regionen von Mittel- und Hocheinkommensländern muss das Opfer von den erfolgreichen Regionen kommen. Da dieses nicht zu der verbitterten Feindseligkeit passt, welche die Abgehängten gegenüber den Erfolgreichen empfinden, fällt es den Abgehängten auf, und ihre positive Überraschung ist die Basis, auf der sie eine weniger resignierte Sicht ihrer eigenen Zukunft entwickeln können.“
Bücher, die nicht Probleme beschreiben, sondern Lösungen bieten, wären in diesen Zeiten weltweiter Krisen, Konflikte und Kriege bitter nötig. Umso bedauerlicher ist es, wenn, wie in diesem Fall, der Inhalt nicht hält, was der Klappentext verspricht.