Öffnung unter Rohani:Irans zaghafter Aufbruch

Iran frees prominent human rights activist Nasrin Sotoudeh

Die iranische Anwältin und Menschenrechtlerin Nasrin Sotoudeh kam im September frei. Hier umarmt sie ihre Familie.

(Foto: dpa)

Die Stimmung ändert sich, aber bessern sich auch die Verhältnisse? Seit dem Amtsantritt von Präsident Hassan Rohani sendet Iran Signale der gesellschaftlichen Öffnung - doch im Land selbst haben die Menschen immer noch mit großen Problemen zu kämpfen. Was die Iraner hoffen, was die Welt erwarten darf.

Von Mareike Enghusen

Seit Hassan Rohani im Juni die iranischen Präsidentschaftswahlen gewann, schaut die Welt mit anderen Augen auf Iran. Vorbei sind die wilden Tiraden des Holocaust-Leugners Mahmud Ahmadinedschads, die das Land zum Paria-Staat machten. Der als moderat geltende Kleriker Rohani wirbt für Dialog, er schickt Twitter-Grüße zum jüdischen Neujahrsfest. Selbst eine diplomatische Lösung im Atomstreit scheint plötzlich im Bereich des Möglichen.

Von außen gesehen, wirkt Iran wie ein anderes Land. Doch wie sieht es im Inneren aus? "Politisch und wirtschaftlich hat sich nichts geändert. Ich hatte von Anfang an keine Hoffnung", sagt der 27-jährige Mahmoud L. im Skype-Interview. Der Ingenieur aus Teheran möchte seine Meinung nicht per Mail schicken, da er Angst habe, dass der Geheimdienst die Nachrichten mitlesen könnte. "Die Menschen haben die Vergangenheit Rohanis vergessen: Er ist seit der Revolution immer Teil des Systems gewesen. Rohani kommt aus den Reihen des Revolutionsführers Ayatollah Chamenei und er folgt seinen Anweisungen."

Weil er nicht damit rechnet, dass sich in Iran in absehbarer Zeit irgendetwas zum Besseren wenden wird, plant Mahmoud L., nach Europa oder in die USA auszuwandern. Auch der Alltag werde immer schwieriger: "Viel weniger Leute als früher können sich Telefone und Laptops leisten. Mein Telefon wurde neulich geklaut. Früher hätte ich mir mit einem Monatsgehalt ein neues Smartphone kaufen können, jetzt muss ich drei Monate lang sparen."

In Europa oder den USA, wohin es viele junge Iraner zieht, gibt es genau jene Freiheiten, von denen auch Rohani in seiner "Charme-Offensive" immer wieder spricht. "In der heutigen Welt ist es das Recht aller Menschen, Zugang zu Informationen zu haben, freien Dialog zu führen und frei zu denken - einschließlich der Menschen in Iran", sagte er etwa im September.

Blogger und Journalisten weiterhin im Fadenkreuz

Doch ein falscher Satz kann auch heute noch Menschen in Iran hinter Gitter bringen. Der Journalist Ali-Asghar Gharavi wurde Ende Oktober festgenommen, nachdem er in einem Artikel indirekt die Legitimität des Staatsoberhaupts Ali Chamenei angezweifelt hatte. Die liberale Zeitung Bahar, die den Text gedruckt hatte, wurde geschlossen. Beunruhigend für Irans Reformer: Ali Dschanati, Rohanis Kultusminister, fand den Vorgang "rechtens".

Laut dem jüngsten UN-Bericht zur Menschenrechtslage in Iran (pdf hier) sitzen derzeit 40 Journalisten sowie 29 Blogger in iranischen Gefängnissen. Im Jahr 2005, als Ahmadinedschad gewählt wurde, waren es nur zwei. Laut "Reporter ohne Grenzen" wurden seit Rohanis Amtsantritt am 3. August 2013 mindestens zehn Journalisten und Blogger verhaftet sowie drei Zeitungen geschlossen.

Wenn er mit westlichen Journalisten wie der CNN-Starmoderatorin Christiane Amanpour spricht, sagt Irans neuer Präsident oft Sätze wie diesen: "Ich freue mich, wenn jeder Häftling das Gefängnis verlässt." Doch Irans berühmtesten politischen Gefangenen, die früheren Präsidentschaftskandidadten Mehdi Karrubi und Mir-Hossein Mussavi, stehen weiterhin unter Hausarrest - obwohl Rohani im Wahlkampf ihre Befreiung in Aussicht gestellt hatte.

Zahl der Exekutionen steigt

Auch in einem der dunkelsten Aspekte der Islamischen Republik hat sich nichts getan: Weiterhin werden Iraner für homosexuelle Handlungen, Ehebruch und Drogenhandel sowie "Feindschaft gegen Gott" hingerichtet. Menschenrechtsorganisationen berichten, die Zahl der Exekutionen sei unter Rohani sogar gestiegen.

Doch es gibt auch zaghafte Signale der Öffnung. Ein Dutzend politischer Gefangene wurden im September freigelassen, darunter Nasrin Sotudeh, eine bekannte Menschenrechtsaktivistin. Das in Iran berühmte "Kino-Haus" in Teheran ist wieder offen, nachdem es unter Ahmadinedschad geschlossen worden war. Und auch die strengen Internetkontrollen könnten bald gelockert werden: Facebook sollte nicht verboten sein, sagte Kultusminister Dschanati am 15. November zu der halbstaatlichen Nachrichtenagentur Fars. Obwohl die Website in Iran geblockt ist, bekannte der Kulturminister: "Ich bin auf Facebook." Auch Außenminister Mohammed Dschawad Sarif ist in dem sozialen Netzwerk präsent.

Irans unvermeidbarer Zick-Zack-Kurs

"Die Bedingungen sind ein wenig besser als vorher", sagt der Polit-Journalist Dschafar Takbiri, 27, aus Teheran. "Medien finden Freiräume, um die Regierung zu kritisieren, auch wenn wir noch nicht den idealen Punkt erreicht haben. " Rohani hatte zudem versprochen, Irans siechende Wirtschaft zu beleben. "Was die wirtschaftliche Situation angeht, hat sich bisher nichts verändert", berichtet Takbiri. "Die Kaufkraft der Menschen ist noch immer sehr niedrig." Der einzige Unterschied: "Mit Rohanis Wahlsieg ist Ruhe in den Markt zurückgekehrt."

Unter Ahmadinedschad hätten die Menschen ihr Geld in Dollar oder Gold umgetauscht, aus Angst vor der rasenden Inflation. Seit Rohanis Amtsantritt wurde der Verfall des iranischen Rial gestoppt und die Menschen sind wieder eher bereit, Geld auszugeben und Unternehmen zu gründen, berichtet Takbiri. Oliver Borszik vom Hamburger GIGA-Institut ist gerade von einer Forschungsreise in den Iran zurückgekehrt und bestätigt: "Die Wahl Rohanis hat das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben der Iraner vor allem atmosphärisch entspannt. Die Menschen konsumieren und finden Wege, sich über Wasser zu halten."

"Täglich wird alles teurer"

Selbst ohne konkrete Maßnahmen scheint die Stimmung sich gedreht zu haben. "Das Einzige, was sich unter Rohani geändert hat: Wir haben wieder etwas Hoffnung", berichtet Aref S., ein 31-jähriger Ingenieur aus Teheran. Nicht jedem jedoch genügt das. "Rohani hat versprochen, dass er in den ersten hundert Tagen die Lage komplett ändern werde. Das war großartig - aber es war eine große Lüge", urteilt Sassan F., ein 31-jähriger Computerspezialist, ebenfalls aus der Hauptstadt. "Täglich wird alles teurer, selbst Dinge des täglichen Bedarfs. Taxi und öffentlicher Verkehr, Wasser, Strom, Mieten, alles. Es fehlt an vielen Medikamenten, und diejenigen, die man noch findet, sind unglaublich teuer."

Wie sind die widersprüchlichen Beobachtungen zu deuten? Eins steht fest: Nicht jeder Reformstau, nicht jeder Rückschlag ist Rohani anzulasten. Das letzte Wort in innen- wie außenpolitischen Fragen hat der Revolutionsführer Ali Chamenei, gegen seinen Willen kann kein iranischer Präsident etwas bewegen. Daran scheiterte schon der Reformer Mohammed Chatami, Irans Präsident von 1997 bis 2005.

Der aktuelle innenpolitische Zick-Zack-Kurs sei denn auch typisch für einen Erneuerer im Präsidentenamt, sagt ein iranischer Experte an einer europäischen Universität. "Rohani arbeitet mit einem Prozess von Versuch und Fehler, um die roten Linien Chameneis auszuloten."

Atomstreit-Einigung als Trumpfkarte gegen Extremisten

Womöglich hängt Rohanis Durchsetzungskraft im Inneren auch von seinen außenpolitischen Erfolgen ab. "Wenn Rohani eine Einigung im Nuklearstreit erzielt, ohne dass Iran sein Gesicht verliert, wird er Chamenei damit eine Trumpfkarte liefern gegen die Extremisten", urteilt der Experte, der sich auch lieber anonym äußert, weil er weiterhin Verwandete in der Heimat besuchen möchte.

Ein Atom-Kompromiss könnte Iran aus den Zwängen der Sanktionen lösen und der Wirtschaft endlich dringend benötigten Sauerstoff zuführen. Rohani hatte angekündigt, dafür zu sorgen, dass die Strafmaßnahen des Westens in den ersten 100 Tagen gelockert würden - dies gelang ihm nicht. Sollte bei den Verhandlungen in Genf ein Deal erzielt werden, der einige Sanktionen abschafft, könnte ein solcher Erfolg die Machtbalance innerhalb der Führung zugunsten der Reformer verschieben - und Rohani jenen Spielraum verschaffen, den er braucht, um auch Irans innere Fesseln zu lockern.

Genau darauf scheinen zahllose Iraner zu warten. "Rohani hat viele Versprechen abgegeben, aber sie waren nicht realisierbar wegen der Sanktionen", sagt Polit-Journalist Takbiri. "Trotzdem: Die Hoffnung der Menschen auf Veränderung ist noch am Leben."

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