Öffentlichkeit:Was die Übergriffe von Köln mit uns zu tun haben

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Syrische Flüchtlinge verschenken am Hauptbahnhof in Köln Rosen an Passanten.

(Foto: Patrik Stollarz/AFP)

Plätze und Straßen verwahrlosen, weil uns Verantwortung und Pflege für das Öffentliche fernliegen. Und eben da steckt das Problem.

Gastbeitrag von Christoph Quarch

Der Mensch, so lehrte Aristoteles bekanntermaßen, ist ein Gemeinschaftswesen: ein Zoon politikon. Um wahrhaft Mensch zu sein und seine Anlagen aufs Schönste zu entfalten, bedürfe er der Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen: zu einer polis. Denn nur im öffentlichen Raum der Polis gelinge das Menschsein. So wurde Aristoteles zu einem Vordenker für den Bürgergeist in Europa.

Ganz ähnlich dachte Martin Buber. "Jedes wirkliche Leben ist Begegnung", notierte er 1923. Das war nicht als politische Theorie gemeint, lässt sich aber so lesen. Bekundet sich darin doch eine ähnliche Einsicht: Der Mensch ist kein Einzelkämpfer. Wirklich lebendig ist er nur im Miteinander. Die Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen ist uns wesentlich. Es wachsam und verantwortungsbewusst mitzugestalten, ist der Ausweis unserer Freiheit.

Begegnung ist der Nährstoff des Politischen. Damit die Polis lebt und ein Gemeinwesen gedeiht, braucht es Raum für die Begegnung, und zwar die leibliche von Mensch zu Mensch. Der virtuelle Raum kann das nicht leisten. Es braucht den öffentlichen Raum. Im öffentlichen Raum lebt eine Bürgerschaft. Und deshalb ist sie gut beraten, den öffentlichen Raum zu schützen und zu pflegen. Besonders dann, wenn er gefährdet ist; wie es in Deutschland jetzt der Fall ist.

Betrachten wir den öffentlichen Raum noch als unseren Raum?

Der öffentliche Raum scheint nicht mehr sicher zu sein. Die Übergriffe gegen Frauen am Kölner Hauptbahnhof, so wissen wir inzwischen, waren keine Einzelfälle. Die Täter stammen offenkundig aus Nordafrika oder dem Nahen Osten. Womöglich sind einige von ihnen mit dem großen Flüchtlingsstrom ins Land gekommen. Gewiss sind unter ihnen auch ein paar Kriminelle - so, wie sie in allen Ländern dieser Welt zu treffen sind. Doch als Erklärung reicht das nicht. Dass so viel junge Männer sich beteiligten, liegt auch daran, dass sie in ihrer Heimat keine bürgerschaftliche Kultur und keinen hinreichenden Respekt vor dem weiblichen Geschlecht kennengelernt haben; und dass ihr Verhalten von ihren religiösen Führern gebilligt wird, wie Aussagen des Kölner Imam Abu-Yusuf lehren.

Öffentlichkeit: Christoph Quarch, 51, hat Philosophie und Religionswissenschaften studiert. Er arbeitet als Autor und Unternehmensberater.

Christoph Quarch, 51, hat Philosophie und Religionswissenschaften studiert. Er arbeitet als Autor und Unternehmensberater.

(Foto: privat)

Man könnte es dabei bewenden lassen. Als Konsequenz genügten dann mehr Überwachungskameras, mehr Polizeipräsenz und eine rigorose Abschiebungspraxis. Allein, so einfach ist es nicht. Denn dass es überhaupt zu den Übergriffen kommen konnte, hat noch andere Gründe, die etwas mit uns zu tun haben - damit, dass wir den öffentlichen Raum vernachlässigt haben.

Seien wir ehrlich: Betrachten wir den öffentlichen Raum noch als unseren Raum? Als einen Raum, den wir gemeinsam teilen - für dessen Erhalt und Pflege wir Verantwortung tragen? Auf den zu achten unsere Pflicht ist? Verantwortung und Pflege für das Allgemeine, Öffentliche liegen uns eher fern. Und eben da steckt das Problem.

Nicht User, nicht Konsumenten, nicht Kunden

Der öffentliche Raum ist ein Begegnungsraum. Zumindest sollte er das sein: ein Raum, worin sich Bürgerinnen und Bürger in Freiheit begegnen können. Begegnen ist etwas anderes als Geschäftemachen. Der öffentliche Raum ist kein Marktplatz. Begegnen ist auch mehr, als sich den anderen zeigen. Der öffentliche Raum ist mehr als eine Bühne für die Selbstdarstellung, als Hintergrund für Selfies. Er ist der Raum, worin sich Menschen frei bewegen können, ohne damit rechnen zu müssen, als Kunden, Konsumenten oder Zuschauer missbraucht zu werden.

Tatsächlich aber wird der öffentliche Raum allenthalben missbraucht. Wir haben eine Welt geschaffen, in der ein jeder um sich selber kreist und danach fragt, wie er für sich am meisten rausholen kann. "Das, was du willst, das kannst du haben", schreit es von den Werbeflächen unserer öffentlichen Räume, "du musst nur auf dem Markt bestehen, musst gut sein, musst dich zeigen!" Wir sehen uns umgeben von Objekten, die wir nutzen und gebrauchen können. Auch wir selbst machen uns zu Objekten, die ihre Erfüllung darin finden, einen hohen Marktwert zu erzielen: ansehnlich und attraktiv zu sein, rentabel oder profitabel.

Der Preis, den wir dafür entrichten, sind Verbindlichkeit und Zugehörigkeit; ist das Politische. Wo es nur darum geht, sich selbst zu optimieren und konkurrenzfähig zu bleiben, erscheint uns niemand mehr als "Du", wie Martin Buber sagte. So aber kann nur leben, wer sich abkoppelt von der Gemeinschaft, keine Verbindungen mehr eingeht, keine Verbindlichkeiten mehr zulässt und dessen Mantra lautet "Was geht mich das an?"

Doch wenn andere und anderes mich nichts mehr angehen, mutiert der öffentliche Raum zu Markt und Bühne, die man benutzen kann. Er hört dann auf, der Ort zu sein, den ein Gemeinwesen braucht, um sich immer wieder neu zu finden und zu regenerieren. Schwindet der Sinn für das Politische in den Köpfen und Herzen, verliert der öffentliche Raum sein Wesen. Er wird zum nackten, leeren Raum - und schlimmstenfalls zu einem Schlachtfeld.

Wir brauchen eine Wiederbelebung des Gemeinsinns

Die jungen Männer, die in Köln und anderswo den öffentlichen Raum missbrauchten, um Frauen anzugrapschen oder auszurauben, kommen aus Ländern ohne bürgerliche Tradition. Vermutlich meinen sie, der öffentliche Raum stehe ihnen offen, um sich all das zu "holen", was sie gern hätten, sich jedoch nicht kaufen können. Selbstkritisch sollten wir erkennen, dass wir diesem Missverständnis Nahrung geben. Diese Nahrung gilt es, ihnen zu entziehen. Das aber setzt voraus, sich öffentlich darüber zu verständigen, ob diese Gesellschaft sich noch ihrer politischen und bürgerschaftlichen Werte bewusst ist. Es besteht Anlass zu der Sorge, dies sei nicht mehr Fall.

Nichts schützt den öffentlichen Raum besser als Menschen, die ihn als Abbild des Gemeinwesens verstehen: die sich ihm zugehörig wissen und als ein gemeinsames Eigentum erkennen, das sie mit anderen Menschen teilen, denen sie dort in Freiheit begegnen. Wir brauchen eine Wiederbelebung des Gemeinsinns, wenn es uns um den öffentlichen Raum zu tun ist. Wie dies gelingen kann?

Naheliegend wäre es, die jungen Menschen dieses Landes - Männer wie Frauen, Zuwanderer und Einheimische - für eine Spanne ihres Lebens fürs Gemeinwesen in Dienst zu nehmen. Zum Beispiel, in dem man aus dem Freiwilligen Sozialen Jahr wieder einen Pflichtdienst für alle macht. So könnte der Gemeinsinn nach und nach in den Herzen der Bürgerinnen und Bürger implementiert werden.

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