1215 revolutionierte ein Schriftstück die britische Gesellschaft. Die Magna Carta legte die Grundlage für den Lobbyismus: Das Anrecht des Einzelnen, seine Stimme beim Gesetzgeber hörbar zu machen. Nicht alle Stimmen sind aber gleich laut. "Viele Menschen sind besorgt, dass finanzstarke Interessen in der Politik stärker vertreten sind als 'normale' Bürgerinteressen", sagt Roman Ebener, Pressesprecher von Abgeordnetenwatch, einer NGO, die sich für mehr Transparenz in der Politik einsetzt. "Wenn diese Angst nicht bekämpft wird, dann schadet das der Demokratie. Deshalb muss Lobbyismus überwacht werden können."
Die NGO hat deshalb gemeinsam mit dem Verein LobbyControl ein "Lobby-Transparenzgesetz" vorgestellt. Der Gesetzentwurf sieht ein öffentliches Register für Lobbyorganisationen vor. Es soll "sichtbar machen, wer in wessen Auftrag und mit welchem Ziel Einfluss auf die Politik nimmt", wie es in einem Kommentar zum Entwurf heißt. Im Detail müssten sich in das Register "alle beruflich tätigen Lobbyisten" eintragen: Neben Namen und Organisation sollen Angaben zum Budget, zum Politikfeld und zu Kontakt mit Abgeordneten öffentlich gemacht werden. Falls dies nicht geschieht, sollen Strafen folgen. Ein Beispiel sind die USA: Dort gibt es so ein Register seit 2006, Verstöße werden mit Geldbußen von bis zu 50 000 Dollar geahndet.
Durch das Register sollen Bürger und Journalisten Entscheidungen von Politikern nachvollziehen und überwachen können. Denn bisher gibt es nur ein freiwilliges Verzeichnis, ausschließlich für Verbände; Individuen, Konzerne oder Kanzleien können sich nicht registrieren, selbst wenn sie wollten.
Die Opposition ist dafür, die CDU/CSU-Fraktion wehrt sich
Auf ein gesetzliches Lobbyregister drängt schon seit Jahren die Opposition, allein in dieser Legislaturperiode gab es mehrere Debatten und Anträge. "Wir brauchen mehr Transparenz für die Nachvollziehbarkeit politischen Handelns", so Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen zur SZ. "Selbstverständlich ist auch die Linke für ein gesetzliches Lobbyregister. Wir müssen es eigentlich schon als Standardantrag bezeichnen, was wir da immer einbringen. Wir nennen ihn ganz freundlich: Entlastung der Legislative vom Lobbydruck", sagt Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.
Warum dann noch nichts passiert ist? "Der größte Gegenwind kommt von der Union", so Lötzsch zur SZ. Das sagt auch Ebener von Abgeordnetenwatch: "Wenn man bei der Union die Abgeordneten fragt, kommt einem in der Regel Ablehnung entgegen. Es wird häufig erwidert, dass es nicht notwendig sei, wobei im Prinzip gar nicht auf die Argumente für ein Lobbyregister eingegangen wird: Es wird einfach nur grundsätzlich abgelehnt."
2015 deckte die NGO auf, dass die CDU/CSU-Fraktion mehr als doppelt so viele Bundestagshausausweise für Lobbyisten wie alle anderen Fraktionen zusammen ausgestellt hatte. Diese konnten vom Fraktionsvorstand im Geheimen genehmigt werden, eine Praxis, die das Berliner Oberverwaltungsgericht kippte - einer der größten Erfolge für Abgeordnetenwatch. Weder die Union-, noch die SPD-Fraktion waren für eine Stellungnahme zu erreichen. In einem Interview mit dem ZDF rechtfertigte Michael Grosse-Brömer, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Union, die Ablehnung gegenüber einem Lobbyregister vergangenes Jahr so: "Ich möchte als Abgeordneter nicht staatlich überwacht werden. Mit wem ich mich treffe, was ich in einem Bürgergespräch bespreche, geht keinen was an, außer mich und den Bürger." Und: "Ich halte ein Lobbyregister für keine wirksame Maßnahme, um Lobbyismus in irgendeiner Form einzudämmen oder in irgendeiner Form mehr Transparenz zu schaffen." Bernhard Kaster, auch er parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, sagte in einer Bundestagsdebatte unlängst: "Es gibt kein Transparenzdefizit. Aber eines werden wir nie zulassen: Dass der frei gewählte Abgeordnete öffentlich Rechenschaft darüber ablegen muss, mit wem er wann und wie über was gesprochen hat."
Von Abgeordnetenwatch heißt es dazu: "Natürlich wird kein Bürger vor einem Treffen mit dem eigenen Abgeordneten zurückschrecken müssen, wenn ein verbindliches und öffentliches Register für die Lobbyisten von Unternehmen und Verbänden eingeführt wird - denn es wird sie gar nicht betreffen. Das weiß selbstverständlich auch die Union."
Mit dem Gesetzentwurf wollen LobbyControl und Abgeordnetenwatch nun eine Diskussionsgrundlage schaffen. Mehr als 400 000 Unterschriften wurden für ein öffentliches Lobbyistenregister gesammelt, gemeinsam mit dem Entwurf werden sie in den kommenden Wochen dem Bundestag übergeben. Pressesprecher Ebener gibt sich zuversichtlich:"Eigentlich gibt es eine Mehrheit im Bundestag: Die SPD hatte 2013 ein gesetzliches Lobbyistenregister in ihrem Wahlprogramm stehen, es aber dann nicht im Koalitionsvertrag untergebracht und die Forderung fallengelassen."
"Lobbykontrolle ist der SPD-Spitze nicht wichtig genug", sagt Marco Bülow, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Dortmund. "Das sollte es aber sein: Es geht noch nicht einmal um irgendwelche Regulierungen, es geht nur um etwas Transparenz. Es ist lächerlich, dass noch nichts in diese Richtung passiert ist, eigentlich ein Armutszeugnis."
Ob sich etwas ändern wird? Wie viele seiner Genossen setzt auch Bülow auf Martin Schulz: "Nicht nur Gerechtigkeit, auch Transparenz sollte unser Thema sein." Bülow hat zusammen mit mehr als 40 Abgeordneten eine freiwillige Transparenzoffensive gestartet, die Unterzeichner - Grüne, Linke und Sozialdemokraten - verpflichten sich, ihre Lobbykontakte aufzulisten. Kein einziger Abgeordneter der Union ist dabei.