Öffentlicher Dienst:„Die Kassen sind leer“

Lesezeit: 3 Min.

Erst im vergangenen Sommer demonstrierten Kita-Erzieherinnen vor dem Berliner Abgeordnetenhaus. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Viele Gemeinden sind hoch verschuldet. Dennoch fordern die Gewerkschaften deutlich mehr Geld für Pfleger, Erzieherinnen und andere Beschäftigte. Mitten im Wahlkampf muss sich Deutschland auf einen heftigen Konflikt einstellen.

Von Benedikt Peters, Alexander Hagelüken, München

Im Frühjahr steht nicht nur eine Wahl an, sondern womöglich auch die nächste Streikwelle im öffentlichen Dienst. Noch laufen die Vorbereitungen für die wichtigste Tarifrunde des nächsten Jahres, es geht um die Gehälter von 2,5 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen, von Ärztinnen, Müllwerkern, Verwaltungsangestellten und Pflegekräften. Ab Ende Januar verhandeln die Gewerkschaften, angeführt von Verdi, mit den Arbeitgebern – und die Vorzeichen, so deutet es sich in diesen Tagen an, könnten kaum schwieriger sein.

Erstens ist da die große politische Unsicherheit: Für den Bund wird Innenministerin Nancy Faeser (SPD) über Gehaltserhöhungen und potenzielle Milliardenkosten verhandeln, deren Regierung keine Mehrheit im Bundestag mehr hat. Zweitens treffen die Gewerkschaften in den Verhandlungen auch auf Arbeitgebervertreter aus den Kommunen, bei denen die Lage so schwierig ist wie lange nicht.

Landrat Ralf Hänsel rechnet damit, dass die finanzielle Lage noch schlechter wird. (Foto: C. Hübschmann)

Das spürt man, wenn man mit Menschen wie Ralf Hänsel spricht. Hänsel, 54 Jahre, CDU-Mitglied, ist Landrat im sächsischen Meißen und er zerbricht sich in diesen Tagen den Kopf darüber, wie er den Haushalt für nächstes Jahr durch den Kreistag bekommen soll. Der Landkreis ist klamm, 25 Millionen Euro Schulden werde er in diesem Jahr machen, sagt Hänsel am Telefon. Er rechnet damit, dass es im nächsten Jahr noch schlechter wird. „Wir werden uns von der einen oder anderen freiwilligen Ausgabe verabschieden müssen“, sagt Hänsel; es gebe Überlegungen, den Betrieb der Musikschule einzuschränken oder die Busse seltener fahren zu lassen.

Hänsel sagt: „Die Zeit der hohen Abschlüsse ist vorbei“

In den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst vertritt Hänsel die sächsischen kommunalen Arbeitgeber, er hat also durchaus ein Interesse daran, die Haushaltslage schlecht darzustellen, als Signal an die Gewerkschaften: Diesmal ist bei uns nichts zu holen. Doch da sind eben auch die Zahlen, nicht nur aus Meißen, die seine Argumentation stützen. Die Pro-Kopf-Verschuldung der Kommunen ist in den vergangenen Jahren gestiegen, von 1801 Euro Ende 2022 auf 2033 Euro Ende Juni dieses Jahres. Wegen der aktuellen Wirtschaftskrise gehen Ökonomen davon aus, dass die für die Kommunen besonders wichtigen Einnahmen aus der Gewerbesteuer in den kommenden Jahren zumindest stagnieren und gleichzeitig die Sozialausgaben steigen werden.

Das trifft nicht alle gleichermaßen: Nach wie vor gibt es reiche Kommunen, etwa in Baden-Württemberg, Hessen oder Bayern, die höhere Löhne für den öffentlichen Dienst locker bezahlen können. Dem gegenüber stehen jedoch viele ärmere Gemeinden etwa in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz, in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern, die schon jetzt überschuldet sind. Landrat Hänsel aus Meißen findet deshalb, dass die Gewerkschaften endlich erkennen müssten: „Die Kassen sind leer und die Zeit der hohen Abschlüsse ist vorbei.“

Gibt sich kämpferisch: Verdi-Chef Frank Werneke (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Bei Verdi bewertet man die Lage anders. „Wir werden in dieser Tarifrunde nicht zulassen, dass die Beschäftigten in den Kommunen und auch beim Bund die Leidtragenden einer verkorksten Politik sind“, sagt Gewerkschaftschef Frank Werneke. Was er damit meint: Die größten Kostentreiber für die Gemeinden sind nicht die Personalausgaben, sondern die Sozial- und Integrationsleistungen; Experten wie der Ökonom Martin Beznoska vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln kritisieren seit Langem, dass Bund und Länder diese nicht ausreichend finanzierten. „Viele Kommunen werden da alleingelassen“, sagt er.

Ein Verdi-Argument: die Wirtschaft ankurbeln

Dass trotz der angespannten Lage höhere Löhne notwendig seien, dafür nennt Verdi-Chef Werneke zwei Gründe: Wenn 2,5 Millionen öffentlich Bedienstete wieder mehr Geld in der Tasche hätten, könne dies helfen, die Wirtschaft anzukurbeln. Zudem argumentiert er mit dem Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst. 550 000 Stellen bei Bund, Ländern und Kommunen können derzeit nach Gewerkschaftsangaben nicht besetzt werden; in den nächsten Jahren könnte sich der Mangel noch verschärfen, weil viele Beschäftigte in den Ruhestand gehen.

Ersatz zu finden, sei auch deshalb schwierig, weil in der freien Wirtschaft deutlich bessere Gehälter gezahlt würden: Einer Berechnung der Hans-Böckler-Stiftung zufolge sind die Löhne etwa in der Chemie- und in der Metallindustrie seit dem Jahr 2000 um etwa zehn Prozent stärker gestiegen als im öffentlichen Dienst. Die Arbeitsbedingungen müssten deshalb besser werden, findet Werneke; Verdi und die anderen beteiligten Gewerkschaften fordern acht Prozent mehr Lohn und drei zusätzliche freie Tage im Jahr. Das solle auch dabei helfen, den Stress zu reduzieren, über den laut einer Verdi-Umfrage unter 260 000 Beschäftigten immer mehr Menschen im öffentlichen Dienst klagen.

Ob höhere Löhne den Mangel im öffentlichen Dienst wirklich beseitigen können, ist allerdings umstritten. Zumindest bei Ralf Hänsel im Landkreis Meißen lief es umgekehrt: Nach dem Rekordabschluss der letzten Tarifrunde 2023, bei dem die Gewerkschaften durchschnittliche Lohnsteigerungen von mehr als elf Prozent erzielt hatten, verhängte der Landrat einen Einstellungsstopp. Stellen werden seitdem nicht mehr nachbesetzt. Der Druck auf die Beschäftigten sei dadurch gestiegen, sagt Hänsel, es gebe mehr Krankmeldungen, und die Bürger seien unzufrieden wegen längerer Wartezeiten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Nordrhein-Westfalen
:Protest gegen Einsparungen

Familien, Suchtkranke, Geflüchtete – NRW streicht seine Zuschüsse für Sozialdienste drastisch zusammen. Das bringt 32 000 Demonstranten auf die Straße.

Von Christian Wernicke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: