Öffentliche Haushalte:Geld, Geschlecht und Gleichstellung

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Mehr Licht: Viele Frauen wünschen sich eine hellere Beleuchtung der Straßen ihrer Stadt. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

In Kommunen, Ländern und im Bund kommen Interessen von Frauen immer noch zu kurz. Verfechter des "Gender Budgeting" wollen das ändern. Doch in Deutschland wird das Prinzip kaum durchgesetzt.

Von Edeltraud Rattenhuber, München

Elke Sasse ist seit 20 Jahren Gleichstellungsbeauftragte der Hansestadt Lübeck und weiß, dass man in der Frauenpolitik dicke Bretter bohren muss, um etwas zu erreichen. Doch beim Thema Gender Budgeting sieht sie bundesweit große Stagnation. "Das Thema wird nicht ernst genommen", sagt sie. Dabei wäre es ihrer Meinung nach sehr wichtig, wie die letzte Frauen-Bürgerschaftssitzung in Lübeck gezeigt hat. 41 Anträge waren auf der Tagesordnung: Frauenschwimmen in städtischen Schwimmbädern, Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse für Frauen und Mädchen, die Wiedereinführung von Frauen-Nacht-Taxis, eine erhöhte Busfrequenz in den Abendstunden oder eine hellere Straßenbeleuchtung.

Schon 2002 hat die EU das Prinzip beschlossen, umgesetzt ist es in Deutschland kaum

Umgesetzt wurde mit Verweis auf die angespannte Haushaltslage nur wenig, obwohl sich Lübeck wirklich bemüht, Gleichstellung zu erreichen und Frauen zu fördern. Doch wenn gespart werden muss, fallen wünschenswerte, aber nicht unbedingt zwingende Maßnahmen gerne unter den Tisch. Da steht Lübeck nicht alleine da. Nur: Was ist zwingend und was nur wünschenswert? Und wer legt das fest? Und warum trifft es so oft die Frauen, wie in britischen Studien festgestellt wurde?

Das Mittel, um hier gegenzusteuern, heißt Gender Budgeting, im Sprachgebrauch der Vereinten Nationen "Gender-responsive budgeting", also "geschlechtergerechter Haushalt". Bei der Aufstellung von öffentlichen Haushalten sollen demnach Maßnahmen eingeführt werden, die auf die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter hinwirken. Im Vertrag von Amsterdam 1999 wurde die Gleichstellung von Männern und Frauen zu einer Aufgabe der Gemeinschaft erklärt. 2002 beschloss die EU-Finanzministerkonferenz dann zur Umsetzung der geschlechtergerechten Politik, die Einführung von Gender Budgeting bis 2015 anzustreben.

Passiert ist aber nur sehr wenig. Zumindest im Bund ist man von einem geschlechtergerechten Haushalt Lichtjahre entfernt. Aber in den Köpfen vieler Frauen hat sich die Idee festgesetzt, sie ist nicht vergessen. Bei der Feier zu "100 Jahre Frauenwahlrecht" im Bundestag im Januar meinte Justizministerin Katarina Barley denn auch, wenn an einem Tag der Bundestag zu 100 Prozent mit weiblichen Abgeordneten besetzt sei, bekomme man vielleicht endlich einen geschlechtergerechten Haushalt hin.

Das Land Berlin ist hier viel weiter. Berlin gilt deutschlandweit und darüber hinaus als Vorzeigekommune und -land beim Gender Budgeting. Schon 2002 wurde angefangen damit, seit 2003 begleitet ein Gremium auf Staatssekretärsebene den Prozess intensiv. Finanzverwaltung und Gleichstellungsstelle arbeiten Hand in Hand. Gabriele Kämper leitet die Geschäftsstelle Gleichstellung in der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung von Berlin seit 2008. Sie kann von zahlreichen Projekten erzählen, die zeigen, wie Gender Budgeting funktionieren kann. Zum Beispiel die Frauensporthalle im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Sie wurde 2014 eröffnet, "ein Highlight", wie Kämper sagt. Viele Frauen, aber auch Mitglieder anderer, bei der Sportförderung bisher benachteiligter Gruppen, wurden dazu motiviert, sich regelmäßig sportlich zu betätigen. Daher habe das Projekt Frauensporthalle aus Sicht Kämpers zu Recht einen der begehrten Preise beim Gender-Budgeting-Wettbewerb gewonnen, den Berlin jedes Jahr ausschreibt.

Für die Berliner Bezirke sei dieser Wettbewerb sehr interessant, erzählt Kämper. Projekte zur Gleichstellung würden finanziell gefördert, zum Beispiel der Aufbau von Anlaufstellen für Alleinerziehende. In einem anderen Bezirk wurden Outdoor-Küchen für Senioren eingerichtet. Ziel war es, in der Nachbarschafts- und Seniorenarbeit auch Männer zur Teilnahme an Veranstaltungen zu bewegen. Und siehe da, dank offener Grills kamen sie auch. "Da entstehen oft ganz kreative Ideen", sagt Kämper, vor allem auf Bezirksebene. Die Senatsverwaltung tue sich "erheblich schwerer", auch weil der direkte Kontakt zu Menschen und Projekten nicht so gegeben sei.

Wie schwierig mag Gender Budgeting dann erst im Bund sein?

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz kämpft seit Jahren für Gender Budgeting auch im Bund. Und sie ist nicht der Ansicht, dass es da viel komplizierter ist als auf anderen Ebenen. "Alles, was wir machen, ist kompliziert", sagt sie. Vor Gender Budgeting müsse man aus diesem Grund nicht zurückschrecken. Sie fordert es ein, um Transparenz herzustellen, wohin das Geld geht. "Union und SPD tun so, als ob die Zuweisung von Geldern geschlechtsneutral sei", meint Deligöz. Dabei sei die Frage, was und wer mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, eine hochpolitische. Budgetentscheidungen seien immer auch Ausdruck von gesellschaftlichen Machtverhältnissen und kämen Männern und Frauen unter Umständen auf sehr unterschiedliche Weise zugute. Gender Budgeting mache das sichtbar.

Die Bundesregierung sträubt sich, man wolle das "Haushaltssystem" nicht "überfrachten

Erst kürzlich hat Deligöz wieder eine Anfrage ans Bundesfinanzministerium gestellt. Genau zu diesem Thema. Und jene Antwort bekommen, welche die Linie der Bundesregierung beim Gender Budgeting deutlich macht: "Ein flächendeckendes und mechanistisches Gender Budgeting im Rahmen des Bundeshaushalts ist aus Sicht der Bundesregierung kein geeignetes Instrument, um die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen, und würde das bestehende Haushaltssystem des Bundes überfrachten." Verwiesen wird auf die Fachressorts, welche die Verpflichtung hätten, bei der Ausgabenpolitik Gleichstellungsaspekte zu beachten. Gender Mainstreaming sei bei der Gesetzesfolgenabschätzung bereits verankert.

Was es nach Meinung von Expertinnen braucht, sind klare Vorgaben und einen Konsens an der Spitze, dass Gender Budgeting durchgezogen wird. In der Stadt Freiburg ist das so. Snežana Sever leitet die Geschäftsstelle Gender und Diversity der Stadt und ist sehr froh darüber, dass Gender Budgeting in Freiburg seit 2010 Konsens ist. Seit 2015 werden auf der Ebene von Schlüsselpositionen geschlechtersensible Daten im städtischen Haushalt abgebildet, und mit dem neuen Doppelhaushalt 2019/20 werden erstmals Produkte auf der Teilhaushaltsebene auch im Kontext von Geschlecht und Vielfalt dargestellt. Kritik gebe es, ja, "aber nur in dem Sinne, dass es zu langsam vorangeht". Ohne das Handeln des Freiburger Stadtkämmerers und dessen Offenheit wäre die Stadt nicht so weit.

Der Geschäftsführerin der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in Schleswig-Holstein, Birgit Pfennig, würde es schon genügen, "wenn man nach den Bedarfen der Frauen planen würde". Zum Beispiel bei der Integration von Geflüchteten: Hier richte sich die Förderung doch sehr an Männern aus. Wenn die Frauen arbeiten sollten, müsse es Kinderbetreuung geben, sagt sie. Auch hätten Studien belegt, wie geschlechterdifferenziert der öffentliche Nahverkehr genutzt wird. Was Gender Budgeting betrifft, wünscht sich Pfennig einen "Best-Practice-Katalog", von dem Kommunen und Länder lernen könnten. Darauf muss sie vielleicht gar nicht mehr lange warten. Im Juni treffen sich feministische Ökonominnen im schottischen Glasgow, um unter anderem über dieses Thema zu sprechen.

© SZ vom 09.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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