Süddeutsche Zeitung

Odenwaldschule:Vertrauen verspielt

Die vom Missbrauchsskandal geschwächte Odenwaldschule muss den Betrieb einstellen. Es fehlt das nötige Geld. Eltern wollen für den Erhalt der Privatschule kämpfen.

Von Tanjev Schultz

Es sei nicht mehr "fünf vor zwölf", sondern längst "zwölf". Schweren Herzens müsse man das mitteilen. So schreibt es die Leitung der Odenwaldschule in einem Brief an die Eltern. Es fehle Geld. Das laufende Schuljahr werde noch zu Ende gebracht, danach soll aber Schluss sein. Die Privatschule in Ober-Hambach bei Heppenheim muss schließen. Fünf Jahre nach Bekanntwerden eines Missbrauchsskandals gibt das neue, erst vor Kurzem vorgestellte Leitungsteam auf. "Wir müssen einen klaren Schnitt machen", sagt Geschäftsführer Marcus Halfen-Kieper. Am wichtigsten sei es jetzt, den Kindern zu helfen, eine passende neue Schule zu finden. Zudem brauchen 110 Mitarbeiter andere Arbeitsplätze. Einige sind verbeamtete Lehrer, die recht einfach auf Schulen verteilt werden können. Andere werden länger suchen müssen.

Die Aufsichtsbehörden hatten finanzielle Nachweise für die kommenden Jahre verlangt. Die notwendigen 2,5 Millionen Euro hat das Internat nicht. Dem Geschäftsführer war es nicht gelungen, neue Kredite zu bekommen oder größere Summen von Altschülern und Mäzenen einzuwerben. Er habe sich "die Füße wund gelaufen", sagt Halfen-Kieper. Am Samstag tagte der Schulverein, anschließend teilte der Vorsitzende Gerhard Herbert mit, man habe feststellen müssen, wie viel Kredit und Vertrauen die Schule verspielt habe. Elternvertreter kündigten dennoch an, sie würden weiter für den Erhalt des Internats kämpfen. Für sie und ihre Kinder sei die Nachricht ein Schock gewesen.

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Die Schule leidet unter sinkenden Zahlen bei den Neuanmeldungen. Derzeit hat sie nur noch 149 Schüler, davon mehr als ein Dutzend Abiturienten, die im Sommer ohnehin abgehen. Das Schulgeld beträgt 2490 Euro im Monat für Internatsschüler und 790 Euro für Externe, die nicht in dem Internat wohnen. Etwa ein Drittel der Schüler kommt im Rahmen der Jugendhilfe; dabei handelt es sich um Kinder mit gebrochenen Schulkarrieren oder schwierigen Elternhäusern. Für viele sei das Aus sehr schmerzhaft, sagt der Geschäftsführer: "Für die Kinder ist die Schule eine Heimat geworden."

Der Vorsitzende der Opferorganisation Glasbrechen, Adrian Koerfer, sagt: "Der Schlange beim Todeskampf zusehen zu müssen, tut weh. Die gegenwärtigen Schüler tun uns leid." Die Schuld am Untergang der Schule trage der Vorstand des Trägervereins, der traditionell aus Ehrenamtlichen bestand. Die Verantwortlichen hätten die vergangenen Jahre nicht gut genutzt.

Im Jahr 2010 kam heraus, dass mindestens 132 Schüler Opfer sexueller Übergriffe geworden waren. Diese wurden überwiegend in den Siebziger- und Achtzigerjahren begangen, mehrere Lehrer waren die Täter. Glasbrechen schätzt die Zahl der Opfer sogar auf 500. In den vergangenen fünf Jahren gab es immer wieder Versuche, einen personellen und konzeptionellen Neuanfang zu unternehmen. Nun sind sie alle gescheitert. Geschäftsführer Halfen-Kieper, der erst seit wenigen Wochen im Amt ist, sagt: Die Schule stehe dort, wo sie stehe, "durch eigene Fehler, durch Wegsehen und Wegducken, durch eigenes Nichthandeln".

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SZ vom 27.04.2015
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