Odenwaldschule:Pornofilme und ein missbrauchtes Mündel

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Von Opfern zu Tätern: An der Odenwaldschule sollen auch zwei Absolventen an sexuellen Übergriffen beteiligt gewesen sein - und Filme gedreht haben.

Tanjev Schultz

Im Missbrauchsskandal an der hessischen Odenwaldschule wird der Kreis der Beschuldigten immer größer. Der Opferanwalt Thorsten Kahl sagte der Süddeutschen Zeitung, er wisse von einem Vorfall, der erst wenige Jahre zurückliege. Der Betroffene schrecke aber davor zurück, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Kahl sagte außerdem, ein Mündel des früheren Schulleiters Gerold Becker habe sich gemeldet und werfe diesem vor, ihn in den achtziger Jahren missbraucht zu haben.

Becker wies die Anschuldigung zurück. Vor gut drei Wochen hatte er sich bei den Schülern für "Annäherungsversuche" entschuldigt. Am Sonntagabend teilte Becker der SZ mit, er bestreite "nach bestem Wissen und Gewissen", ein angebliches Mündel missbraucht zu haben. Nach seiner Erinnerung habe er nur ein einziges Mal eine Vormundschaft übernommen, und das sei in den sechziger Jahren gewesen, vor seiner Zeit an dem Internat. Dabei sei es um einen erwachsenen, geschäftsunfähigen Mann gegangen, teilte Becker mit.

Der SZ liegt überdies der Bericht eines Absolventen vor, demzufolge in den siebziger Jahren zwei ehemalige Schüler gemeinsam mit dem Musiklehrer an Übergriffen beteiligt waren. Es seien damals auch Pornofilme gedreht und Fotos gemacht worden. Die beiden früheren Schüler sollen in den siebziger Jahren in der "Familie" - so heißen die Wohngruppen in dem Internat - des Musiklehrers gelebt haben. Sie seien von Opfern zu Tätern geworden und hätten sich später, als sie die Schule bereits abgeschlossen hatten, an sexuellen Übergriffen beteiligt.

Bei einer Fahrt nach Italien sei es "täglich zu gewaltsamem Gruppensex" gekommen, sagt das mutmaßliche Opfer. Übergriffe habe es zudem bei "Wochenend-Partys" in einem Penthouse in Heppenheim gegeben. Der beschuldigte Musiklehrer ist 2006 gestorben. Er soll, wie in einem Mitteilungsblatt der Schule stand, vor seinem Tod von ehemaligen Schülern "liebevoll betreut" worden sein. Gegen einen dieser Ehemaligen richten sich die neuen Anschuldigungen.

An dem berühmten Internat sind noch immer mehrere seit langem dort beschäftigte Lehrer und Mitarbeiter tätig, denen Absolventen vorwerfen, sie könnten von Missbrauchsfällen gewusst haben. Direktorin Margarita Kaufmann hat einem Mitarbeiter die Funktion des IT-Beauftragten entzogen. Er soll eine vertrauliche E-Mail einer Ex-Schülerin an einen von ihr beschuldigten ehemaligen Lehrer weitergeleitet haben.

Die Weitergabe von Dokumenten wird dem Pädagogen in einer einstweiligen Verfügung verboten. Bei dem Mann handelt es sich nach SZ-Informationen um einen Lehrer, der bei den Grünen kommunalpolitisch aktiv ist. In Kreisen der Absolventen wünschen viele, dass zwei ältere Lehrer die Schule bald verlassen, da sie die Aufklärung behindern könnten.

Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung liegen mittlerweile eidesstattliche Versicherungen von fünf ehemaligen Schülern vor, die berichten, wie sich der Lehrer J.K. an ihnen vergangen haben soll. J.K., der im Ruhestand ist, bestreite die Vorwürfe. Nach Angaben einer Sprecherin des Internats zählt er zu den neun Lehrern, gegen die die Staatsanwaltschaft derzeit ermittelt. Der Spiegel berichtet von einem ehemaligen Lehrer der Odenwaldschule, der in den neunziger Jahren Drogenkonsum toleriert habe. Ein Schüler soll später an einer Überdosis gestorben sein. Der Lehrer, der heute ein Internat in Bayern leite, bestreitet dem Bericht zufolge, von Heroinkonsum gewusst zu haben.

Auch am Birklehof im Schwarzwald wurden Missbrauchsvorwürfe bekannt. Wie die Odenwaldschule ist der Birklehof ein weltliches, reformpädagogisches Internat. Verdächtigt wird ein Arzt, der Sprechstunden an der Schule abhielt. Ihm werfen Absolventen vor, sie betatscht zu haben. Nach Angaben des Birklehof-Leiters Christof Laumont ist der Arzt 2004 in den Ruhestand gegangen und bestreitet die Vorwürfe. Absolventen werfen außerdem einem ehemaligen Birklehof-Lehrer vor, sie geschlagen zu haben. Der Lehrer, der im Ruhestand ist, nach Angaben Laumonts aber noch unterrichtet, weist die Vorwürfe zurück.

© SZ vom 12.04.2010/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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