Occupy-Bewegung:Viele bewegt, wenig bewirkt

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Die Besetzer des Zuccotti Parks in Manhattan haben einen Nerv getroffen - und weltweit Unterstützung und Nachahmer gefunden. Doch das Programm der Bewegung ist vage. Den Banken die Schuld für die Finanzkrise zu geben, hilft in erster Linie Politikern in Europa: Sie können von ihrer Verantwortung ablenken.

Nikolaus Piper, New York

Fast genau zwei Monate ist es her, dass sich ein paar versprengte Protestierer im Zuccotti Park in Manhattan niederließen und erklärten, sie "besetzten" die Wall Street. Seither ist Occupy Wall Street zu einer Formel geworden, die auf der ganzen Welt funktioniert. Und zumindest aus amerikanischer Sicht ist es nicht so falsch, wenn Lokalpolitiker und Sympathisanten den Protestierern raten, sie sollten jetzt ihren Sieg erklären und sich jetzt anderen Aufgaben widmen. Schließlich sei es ihnen gelungen, die Debatte in den Vereinigten Staaten über Armut und Ungleichheit von Grund auf zu verändern.

Protestler Jorden Eck sitzt im Zuccotti Park im Süden Manhattans. Am Dienstag hatte die Polizei ein Zeltlager der Besetzer aufgelöst. Nun dürfen sie zurückkehren - allerdings ohne Zelte.  (Foto: AFP)

Diese Aussage trifft den Kern. Seit ein paar Wochen sind die wachsende Kluft zwischen den Einkommen, die fehlenden Chancen für junge Leute und das Verschwinden der Mittelschicht plötzlich wieder Themen, die in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. Die Aktivisten hatten einen Nerv getroffen. Und viele Politiker zeigten öffentlich Verständnis für Occupy Wall Street. Präsident Barack Obama sagte: "Wir stehen auf eurer Seite."

Trotz aller Unterschiede lassen sich die konservative Tea Party und die linke Occupy-Bewegung durchaus miteinander vergleichen. Beide sind Ausdruck der tiefen Verunsicherung und der Unzufriedenheit der Amerikaner mit ihrem Land. Während allerdings die Tea Party das Staatsdefizit als zentrales Thema fest in der Politik verankert hat, muss man erst noch abwarten, ob den Occupy-Leuten das Gleiche mit der sozialen Frage gelingt, ohne klares Ziel und Programm.

Meinungsumfragen legen nahe, dass die jungen Besetzer vom Zuccotti Park derzeit deutlich populärer sind als die meist älteren Leute von der Tea Party. Nach der Umfrage eines lokalen Fernsehsenders hatten Anfang November 44 Prozent der New Yorker Sympathien für Occupy Wall Street, aber nur 21 Prozent für die Tea Party.

Occupy Wall Street wird im allgemeinen als "Bewegung" charakterisiert, das ist im politischen Sinn nicht ganz richtig. Eine politische Bewegung braucht ein Ziel und zumindest halbwegs konkrete Forderungen. Aber auf beides haben die Protestierer bis zuletzt bewusst verzichtet. An ihrer Stelle stehen Formen, die Besetzung öffentlichen Raumes, der Typus der "Generalversammlung", also der offenen Endlosdiskussion, bis ein Konsens über eine Frage gefunden ist - oder auch nicht.

Auf jeden Fall ist es der zersplitterten und isolierten amerikanischen Linken gelungen, mit Occupy ihren Wirkungsgrad zu vervielfachen. Wobei die eingängige Formel "Wir sind die 99 Prozent" eigentlich eine Anmaßung ist. Die protestierende Linke macht eher ein Prozent der Bevölkerung aus, es sind in der Regel Kinder der bedrängten weißen Mittelschicht. Aber deren Protestformen sind, ganz unabhängig vom Inhalt, so attraktiv, dass die ausgezehrten amerikanischen Gewerkschaften die jungen Leute jetzt als Bündnispartner suchen.

Dabei gab und gibt es rund um den Zuccotti Park durchaus interessante Programm-Debatten. Einige fordern zum Beispiel die "Nationalisierung" der Notenbank Fed, also die Kappung aller institutionellen Bindungen der Federal Reserve an die Wall-Street-Banken. Gleichzeitig fand man im Park aber auch immer wieder die Parole "End the Fed". Die Forderung nach Abschaffung der Notenbank kommt aus der politischen Rechten, die das Papiergeld ganz abschaffen und zum Goldstandard zurückkehren möchte. Dass dies die Macht der Banken erhöhen würde, dürfte den wenigsten bewusst sein.

Eher im Hintergrund sind bisher die Initiatoren der Besetzung geblieben: das kanadische Anti-Konsum-Magazin Adbusters zum Beispiel und der Anthropologe und Anarchist David Graeber. Für Graeber ist der Kredit selbst das Problem, er träumt von einer Gesellschaft ohne Schulden und - notwendigerweise - auch ohne Geldvermögen. Graeber war entscheidend bei der Vorbereitung der Besetzung, aber kaum jemand kennt seine Ideen, geschweige denn kann er sich mit ihnen identifizieren. Stattdessen mussten die Besetzer damit leben, dass sich unter ihnen alle möglichen Wirrköpfe und Verschwörungstheoretiker tummeln. Die Nationalsozialistische Partei der USA erklärte sich mit ihnen solidarisch.

Zu den vielleicht gar nicht so harmlosen Wirrköpfen gehört auch die sogenannte Zeitgeist-Bewegung. Deren Anhänger wollen eine "kybernetisierte" und "ressourcenbasierte" Wirtschaft, in der es kein Geld mehr gibt. Die Bewegung gilt als verschwörungstheoretisch und latent antisemitisch. Wie groß sie ist, weiß niemand, am Zuccotti Park fand sie ein Forum. Und natürlich treffen sich unter dem Occupy-Dach viele linke Splittergruppen; am präsentesten ist dabei die trotzkistische Partei Workers World.

Jenseits der amerikanischen Grenzen ist die Formel "Occupy" begierig aufgenommen worden. Sie passte, besonders im von der Schuldenkrise geschüttelten Europa, zu einer ohnehin vorhandenen Grundstimmung in der Bevölkerung, selbst wenn die Voraussetzungen ganz andere waren. In Spanien und Griechenland sind es Proteste gegen Sparmaßnahmen der Regierung in der Folge der Schuldenkrise, die nun unter "Occupy" liefen.

In Deutschland, wo die sozialen Unterschiede längst nicht so groß sind, bedient Occupy Wall Street einen gefühligen Antikapitalismus, der heute bis in die CDU hineinreicht. Die Gruppe Attac demonstriert unter der Marke "Occupy Germany", die Linkspartei fordert "Occupy Deutsche Bank". Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt "großes Verständnis" für die Proteste.

Dabei hat das Ganze besonders aus europäischer Sicht auch etwas sehr Unzeitgemäßes. Die Finanzkrise und die große Rezession 2007 bis 2009 waren tatsächlich überwiegend den Exzessen an der Wall Street und dem Versagen vieler Banken geschuldet; doch damals gab es noch keine Occupy-Protestierer. Einzelne Demonstranten, die an der Wall Street gegen die Rettung der Banken mit Steuermitteln wetterten, wurden kaum wahrgenommen. Die europäische Schuldenkrise dagegen, die gegenwärtig die Stabilität der Welt bedroht, ist eindeutig eine Folge von Politikversagen.

Wer also in diesen Tagen vor der Europäischen Zentralbank gegen "das Finanzsystem" protestiert, hilft auch Politikern, von ihrer Verantwortung abzulenken und sich um eine schonungslose Analyse früherer Fehler zu drücken. Insofern ist die Formel "Occupy" auch ein Stück Selbstgerechtigkeit.

© SZ vom 17.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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