Occupy-Bewegung:Die Globalisierung weckt ihre Kinder

David gegen Goliath, 99 versus 1 Prozent, die Menschen gegen das Finanzsystem: Der weltweite Protest ist nicht typisch links oder rechts - es bildet sich eine europäische Öffentlichkeit, die ihren Zorn auf das System nicht einfach runterschlucken wird. Anstatt den Hindukusch zu verteidigen, gilt jetzt auch in Deutschland: die Demokratie gegen die Gier der Märkte zu verteidigen.

Heribert Prantl

Die Globalisierung weckt ihre Kinder. Deren Protest ist nicht rechts und er ist nicht links. Er lässt sich nicht fangen mit den alten Lassos. Sicher: Der Protest ist Ausdruck der Empörung über soziale Ungerechtigkeit, das ist ein altes linkes Thema. Aber der Protest steht auch für das fatale Gefühl, dass die Staaten zu schwach sind und von den Finanzmärkten gewürgt und enteignet werden. Die Sehnsucht nach einem starken Souverän aber ist ebenso ein konservatives, rechtes Thema: die Marodeure der internationalen Finanzwirtschaft sollen gebändigt werden.

Die Proteste sind schließlich Ausdruck zorniger Enttäuschung. In der Finanzkrise 2008, als die Staaten ungeheuerlich viel Geld in die Banken pumpten, glaubten viele Bürger, sie erlebten eine Läuterung des Kapitalismus. Das war und blieb eine Täuschung. Die Großbanken haben mit den Mitteln und Methoden weitergezockt, die vorher die Finanzkrise herbeigeführt hatten. Sie konnten ihr Spiel weitertreiben; denn keine von den strikten Regeln, die von der internationalen Politik angekündigt wurden, trat in Kraft. Der Finanzkapitalismus wurde keinen Deut menschlicher, der Turbo des Kapitalismus blieb angeschaltet.

Das alles führt nun zu globalen Protesten. Sie werden wohl nicht so schnell wieder einschlafen, wie ihre Vorläufer gegen den Sozialabbau 2004 in Berlin, Rom und Paris. Aber damals, und schon ein Jahr vorher, bei den Protesten gegen den Irak-Krieg, konstituierte sich erstmals eine europäische Öffentlichkeit. Jetzt konstituiert sie sich, gestützt von den weltweit aktiven sozialen Netzwerken, international.

Der globalisierte Kapitalismus wird, wenn das funktioniert, nicht mehr so einfach dorthin ausweichen können, wo er es vermeintlich leicht hat und die Leute willig sind. Wenn Protest global wird, funktioniert das nicht mehr so gut. Dann könnte es zugehen wie beim Hasen und dem Igel, dann hat es der Hase Finanzkapitalismus schwer.

Die Occupy-Proteste docken nicht mehr an die nationale Politik an, weil man sich von dieser nicht mehr viel erwartet und weil man erlebt, wie ohnmächtig, orientierungslos und getrieben nationale Parlamente in der Finanzkrise agieren. Der internationale Protest fordert eine internationale Politik.

Die Davids der Welt wollen nicht mehr dabei zusehen, wie mit den Millionen und Milliarden der Steuerzahler die Banken saniert und die Löcher in den Autobahnen des Finanzkapitalismus nur zur weiteren Raserei geflickt werden: Die Davids rufen daher nach neuen Verkehrsregeln, nach Geschwindigkeitsbeschränkungen, nach Zulassungsvoraussetzungen und nach einem TÜV für die Vehikel, die auf diesen internationalen Autobahnen verkehren.

In den vergangenen zehn Jahren wurde Deutschland angeblich am Hindukusch verteidigt. Jetzt gilt es, die Demokratie gegen die Gier der Märke zu verteidigen. Eine Welt, die die Taliban bekämpfen kann, muss sich vor den Brokern nicht fürchten.

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