Sexueller Missbrauch:Geistliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche tritt zurück

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Laut einem Untersuchungsbericht soll Justin Welby als Erzbischof von Canterbury den "wohl aktivsten Serientäter, der mit der Kirche von England in Verbindung steht", gedeckt haben. (Foto: RICHARD WAINWRIGHT/IMAGO/AAP)

Erzbischof Justin Welby soll jahrelang schweren sexuellen Missbrauch durch einen Kirchenjuristen vertuscht haben. Erst nachdem der Druck zu groß wurde, hat er nun die Verantwortung übernommen.

Von Annette Zoch

Tiefer Fall für einen hohen Geistlichen: Das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, Erzbischof Justin Welby, ist zurückgetreten. Dem 105. Erzbischof von Canterbury wird vorgeworfen, jahrelang sexuellen Missbrauch vertuscht zu haben. „Ich habe die gnädige Erlaubnis Seiner Majestät des Königs eingeholt und mich entschieden, als Erzbischof von Canterbury zurückzutreten“, erklärte Welby am Dienstagnachmittag.

Der Druck war einfach zu groß geworden. Vergangene Woche war der so genannte „Makin Report“ veröffentlicht worden – ein Untersuchungsbericht über die Taten des anglikanischen Kirchenjuristen John Smyth. Mehr als 40 Jahre lang soll Smyth seine ehrenamtliche Arbeit als Helfer in kirchlichen Jugendcamps dazu genutzt haben, sich kleinen Jungen zu nähern. Smyth soll die Kinder anschließend in sein Haus in Winchester gelockt und dort in seinem Schuppen mit einem Stock grauenvoll verprügelt haben. Der Bericht spricht von mehr als 100 Opfern.

Smyth vertrat als Rechtsanwalt auch die konservative Lehrerin und evangelikale Christin Mary Whitehouse, die in den 1960er- und 1970er-Jahren als „Moralaktivistin“ gegen die sexuelle Revolution kämpfte.

Vergangene Woche hatte er einen Rücktritt noch abgelehnt

Welby soll 2013 von den Taten des Mannes erfahren, aber nichts unternommen haben. „Auf höchster Ebene der Kirche“, habe man von dem Fall Kenntnis gehabt, heißt es im Makin-Report. Smyth sei, so heißt es weiter, „der wohl aktivste Serientäter, der mit der Kirche von England in Verbindung steht“. Durch eine Fernsehdokumentation wurde der Fall 2017 öffentlich bekannt. Dem Mann wurde laut Untersuchungsbericht aber nahegelegt, das Land zu verlassen, und er zog nach Simbabwe, ohne dass dies der Polizei mitgeteilt wurde. Dort starb Smyth 2018, ohne dass er je für eine seiner Taten vor Gericht gestanden hätte.

Welby lehnte einen Rücktritt vergangene Woche zunächst noch ab. Doch nach der Veröffentlichung des Makin-Reports hatten drei Mitglieder der Generalsynode, dem Kirchenparlament der anglikanischen Kirche, eine Online-Petition gestartet und den Rücktritt Welbys gefordert. Binnen kürzester Zeit sammelten sie Tausende Unterschriften, an diesem Dienstag dann wagte sich als erste leitende Geistliche die Bischöfin von Newcastle, Helen-Ann Hartley, vor und forderte ebenfalls seinen Rücktritt. „Die Menschen können derzeit nicht darauf vertrauen, dass die Church of England sie schützt“, sagte Hartley der BBC.

Welby ist nicht irgendein Bischof, der da zurückgetreten ist, sondern immerhin das geistliche Oberhaupt einer ganzen Kirche. Der Erzbischof ist als Primas der Kirche von England auch Ehrenoberhaupt der anglikanischen Kirchen der Welt – allerdings als „Primus inter Pares“, Erster unter Gleichen, er ist also den Nationalkirchen nicht weisungsbefugt. Das weltliche Oberhaupt der anglikanischen Kirche ist König Charles III., er wurde von Welby gekrönt.

Der Tod seiner Tochter war eine Zäsur, die ihn zur Religion brachte

Weltweit zählt die anglikanische Kirche 85 Millionen Mitglieder, außerhalb Englands gibt es 42 Kirchenprovinzen und 5 Nationalkirchen, darunter in den USA, Australien und in mehreren Ländern Afrikas. Entstanden ist die anglikanische Kirche zur Zeit der Reformation. König Heinrich VIII. brach 1533 mit dem Papst in Rom, weil dieser seine Ehe nicht annullieren wollte, und setzte sich selbst als Oberhaupt der neu gegründeten Kirche ein.

Welby hatte nicht von Anfang an eine geistliche Karriere eingeschlagen. Zunächst studierte er Jura, arbeitete als Finanzexperte des französischen Ölkonzerns Elf Aquitaine. Mit Ehefrau Caroline hat Welby fünf lebende Kinder. Im Jahr 1983, die Welbys lebten gerade in Paris, kam seine Tochter Johanna im Alter von nur sieben Monaten bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Für Welby war dies eine Zäsur, die ihn zur Religion brachte. Er studierte noch einmal Theologie und ließ sich im Jahr 1993 zum Priester weihen, stieg dann steil in der Kirchenhierarchie auf. Erst im Februar 2023 war Welby gemeinsam mit Papst Franziskus in den Südsudan gereist.

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