Obamas Unwissen in Spionage-Affäre:Gefährlicher Brandschutz im Weißen Haus

Obamas Unwissen in Spionage-Affäre: Das Echelon Abhörsyste in Bad Aibling-Mietraching wird vom Deutschem Bundesnachrichtendienst BND und US Amerikanischem Geheimdienst NSA ganz offiziell zu gleichen Teilen genutzt. Dass ein Mitarbeiter des BND auch vom CIA genutzt wurde, war dagegen nicht offiziell.

Das Echelon Abhörsyste in Bad Aibling-Mietraching wird vom Deutschem Bundesnachrichtendienst BND und US Amerikanischem Geheimdienst NSA ganz offiziell zu gleichen Teilen genutzt. Dass ein Mitarbeiter des BND auch vom CIA genutzt wurde, war dagegen nicht offiziell.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Präsident Obama wusste offenbar nichts von der Enttarnung eines mutmaßlichen CIA-Agenten in Deutschland - selbst als er mit der bereits informierten Kanzlerin telefonierte. Warum hat der Beamtenapparat Obama ahnungslos gelassen? Steckt dahinter ein Prinzip?

Von Nicolas Richter, Washington

Am Donnerstag vergangener Woche hat Barack Obama mit Angela Merkel telefoniert, wie so oft unterhielten sich US-Präsident und Kanzlerin über die Ukraine.

Nicht ein Wort aber widmeten sie einem Spionagefall, der zu selben Zeit die deutsche Justiz beschäftigte: den eines jungen Mitarbeiters des Bundesnachrichtendiensts, der geheime Unterlagen an die Kollegen der amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA) verkauft haben soll.

Der Verdächtige wurde an dem Tag, als Obama und Merkel miteinander redeten, einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Mitarbeiter aus dem Weißen Haus sind verärgert

Die Kanzlerin erwähnte die Spionageaffäre am Telefon offenbar nicht, obwohl sie von den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gewusst haben dürfte; festgenommen hatte man den Verdächtigen schon einen Tag vorher. Der Präsident soll sogar völlig ahnungslos gewesen sein.

Im Gespräch mit der New York Times erklären anonyme Mitarbeiter aus dem Weißen Haus, sie seien verärgert, weil die CIA sie nicht ins Bild gesetzt habe. Darin liegen zwei Botschaften an Berlin.

Erstens: Hätte der Präsident rechtzeitig vom neuesten CIA-Debakel erfahren, hätte er sich gleich bei Merkel entschuldigt. Zweitens: Die Einkaufstour der CIA ist das Geschäft der Spione, es ist kein Ausdruck der Politik Obamas.

Die Amerikaner sind im Allgemeinen famose Experten für den politischen Brandschutz, und im Weißen Haus sind sie es besonders. Wenn der Präsident in seinem Oval Office sitzt, schirmen ihn unzählige Brandmauern ab vor Funkenschlag und Schwelbränden des Regierungsalltags. Seine Mitarbeiter entscheiden, wann ihn welche Informationen erreichen, und manchmal kann es sinnvoll sein, dass er von schlechteren Nachrichten so spät erfährt wie möglich.

Wenn sich Washington zuletzt über Pannen und Affären erregte, hieß es aus dem Weißen Haus meist, Obama habe eben erst davon erfahren. Das wirkte manchmal so, als nehme der Präsident vor lauter Brandmauern kaum noch die Realität wahr. Jetzt versucht das Weiße Haus wohl herauszufinden, wer in der CIA wann von der Agentenaffäre wusste und warum dies den Präsidenten nicht früher erreicht hat.

Wie die US-Regierung ist auch deren Auslandsgeheimdienst von Brandmauern durchzogen: Nicht jeder im Apparat kann - und soll - alles wissen.

Ein Geldbetrag im untersten Bereich

Obamas Unwissen in Spionage-Affäre: US President Barack Obama listens to a group of people, who wrote letters to him, as he sits to dine with them at a restaurant in Denver, Colorado, on July 8, 2014. AFP PHOTO/Jewel Samad

US President Barack Obama listens to a group of people, who wrote letters to him, as he sits to dine with them at a restaurant in Denver, Colorado, on July 8, 2014. AFP PHOTO/Jewel Samad

(Foto: AFP)

Aus deutscher Sicht mag es ungeheuerlich sein, dass die CIA einem Beamten des BND geheime Akten abkauft. Beim mächtigsten Geheimdienst der Welt hingegen entspricht das nicht nur dem Selbstverständnis, sondern der Alltagsroutine. Amerikas Agenten sehen ihren Auftrag darin, die Absichten selbst befreundeter Regierungen aufzudecken.

Der mutmaßlich korrupte BND-Mann hat für seine Dienste wohl einen Geldbetrag im untersten Bereich dessen erhalten, was geheime Operationen sonst kosten. All dies spricht nicht gerade dafür, dass die höchsten Ebenen der CIA im Bilde waren, geschweige denn das Weiße Haus.

Mittlerweile sind die höchsten Verantwortlichen freilich damit beschäftigt, den neuesten Brandherd im deutsch-amerikanischen Verhältnis zu löschen. CIA-Direktor John Brennan hat bereits mit dem Kanzleramt telefoniert. Brennan ist so etwas wie ein Experte für Brandvorbeugung. Obama hat ihn an die Spitze der CIA gesetzt, weil er sich dort jemanden wünscht, auf den er sich verlassen kann.

Im Weißen Haus ist Brennan lange einer der engsten Vertrauten Obamas gewesen, er hat das Drohnenprogramm aufgebaut, mit dem die USA Terrorverdächtige in aller Welt töten. Brennan hat angekündigt, dass sich die CIA unter seiner Leitung wieder ihrem Kerngeschäft widmen werde - der altmodischen Spionage. Offenbar delegiert die CIA den Drohnenkrieg nun weitgehend zurück an das Militär, während sich die US-Spitzel auf Länder wie China und Iran konzentrieren. Deutschland steht auf der Liste der Prioritäten ziemlich weit hinten.

Die USA wollen nicht "einseitig abrüsten"

Als sich herausstellte, dass die NSA das Handy der Kanzlerin abhörte, schirmte Obama immerhin Angela Merkel und ein paar ihrer Kollegen ab vor der Wissensgier seiner Dienste. Die NSA sollte künftig nicht mehr die Telefone befreundeter Staats- und Regierungschefs abhören, verfügte der Oberbefehlshaber.

Ansonsten aber dürfen NSA und CIA im Namen von Terrorabwehr und nationaler Sicherheit auch weiterhin jeden ausforschen, der nicht gerade Präsident, Kanzler oder Premier ist, das sind in den meisten Regierungen ziemlich viele Menschen.

Obama hat selbst gesagt, die USA würden nicht "einseitig abrüsten" und sich nicht dafür entschuldigen, dass sie das Spionagehandwerk besser beherrschten als andere. Der neue NSA-Chef Michael Rogers hat zwar erklärt, eine von Obama angeordnete Überprüfung aller US-Spionageaktivitäten habe dazu geführt, dass einige Operationen für "unklug" befunden und beendet worden seien.

Demnach aber müsste die US-Regierung die Aktivitäten der nunmehr enttarnten deutschen Spione für klug befunden haben - falls sie die überhaupt bewertet hat.

Datengier und endlose Feuerwehreinsätze

Die Gier der amerikanischen Dienste zwingt die US-Regierung mittlerweile zu endlosen Feuerwehreinsätzen. Manche Brandherde stammen noch aus der Amtszeit George W. Bushs, als der Sicherheitsapparat - wie jetzt enthüllt - Tausende unschuldige Muslime ausforschte.

Für die neueren Skandale aber ist letztlich Obama verantwortlich. Er lobt die Deutschen einerseits als enge Freunde, weigert sich aber, seinen Diensten in Deutschland nennenswerte Grenzen zu setzen. Das ist so, als seien die diplomatischen Ansprüche von der geheimdienstlichen Wirklichkeit abgeschirmt.

Manchmal aber lodern die Flammen so hoch, dass sie selbst die höchsten Brandschutzmauern überwinden.

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