Obamas neue Afghanistan-Strategie:Vietnam am Hindukusch

Bei Waterloo haben mehr Soldaten den Sieg gebracht. Doch die Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen zeigt: Aus dem materiell weit Überlegenen kann schnell der Unterlegene werden. Ein drastisches Beispiel: Vietnam. Auch in Afghanistan wird die neue Strategie Obamas nicht zum Erfolg führen.

Kurt Kister

Barack Obama hat nicht nur das Amt von George W. Bush übernommen, sondern auch die Kriege im Irak und in Afghanistan. Und er sieht sich nun mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert wie sein Vorgänger. Das Stichwort heißt Vietnam, es steht für die heillose Verstrickung der Weltmacht in einen Konflikt, der militärisch nicht zu gewinnen ist, auch wenn man noch so viele Anstrengungen macht.

Afghanistan, Reuters

Amerikanische Soldaten am 2. Dezember in Afghanistan: Manches von dem, was Obama als neue Afghanistan-Strategie vertritt, legt Assoziationen an vergangene Misserfolge nahe.

(Foto: Foto: Reuters)

Manches von dem, was Obama jetzt als neue Afghanistan-Strategie vertritt, legt Assoziationen an vergangene Misserfolge nahe. In Vietnam hat Amerika die traumatische Erfahrung gemacht: Der ständige Ausbau der US-Militärpräsenz von 1965 an führte zwar zu einer Intensivierung des Kriegs sowie zu einer Vergrößerung der militärischen Verluste und vor allem auch des Leidens der Zivilbevölkerung.

Der Sieg aber rückte nicht näher, egal ob man, wie Präsident Lyndon B. Johnson, immer mehr Soldaten schickte, oder, wie später Präsident Richard Nixon, immer mehr Bombenangriffe fliegen ließ. Zwar wurde das eine oder andere Gefecht gewonnen. Dies aber bedeutete in einem Krieg, in dem sich der Gegner militärisch selten stellte, nicht viel. Tat er es, etwa 1968 bei der Tet-Offensive, obsiegten die Amerikaner auf dem Schlachtfeld, verloren aber diese Siege wieder in der öffentlichen Meinung. Gerade die Tet-Offensive und die Tatsache, dass der Vietcong nach Jahren des Kriegs immer noch so stark war, führte zu einer Erosion der Kriegs-Unterstützung durch die vermeintliche schweigende Mehrheit in den USA.

Truppenverstärkungen in einem schwierigen Feldzug oder Krieg waren über Jahrhunderte hinweg ein probates Mittel, um die Überlegenheit herzustellen oder gar zu siegen. Es gibt berühmte Beispiele aus einzelnen Schlachten, die durch das zeitkritische Eintreffen neuer Truppen entschieden wurden. In Deutschland gehörte früher der Satz des Herzogs von Wellington auf dem Schlachtfeld von Waterloo zur patriotischen Allgemeinbildung: "Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen." Die Engländer und ihre Verbündeten hielten unter großen Verlusten gegen die Franzosen stand. Als Blüchers Truppen am Nachmittag auf der Walstatt eintrafen, war die Niederlage für Napoleon unabwendbar.

Diese Art der entscheidenden Verstärkung auf dem Schlachtfeld fand ihre Parallelen in vielen Kriegen und Feldzügen. Gerade die Amerikaner gelten in der Militärhistorie als eine Nation, die immer wieder sehr schnell und gezielt ihre Wirtschaftsmacht in den Auf- und Ausbau des Militärapparats steckten, wenn sie es für nötig hielten. Sie kamen damit Verbündeten zu Hilfe wie etwa im Zweiten Weltkrieg den Briten und den Sowjets. Auch in der militärischen Operationsführung der US-Streitkräfte spielte die materielle und technische Überlegenheit stets eine zentrale Rolle. Amerikas Generale sind darum bemüht, viel mehr zu haben als alle anderen: mehr Flugzeuge, mehr Artillerie, mehr gepanzerte Fahrzeuge, mehr Nachschub.

Obamas Verstärkungsstrategie hat auch mit diesem Denken zu tun. Aber was in Vietnam für die USA begann, hat sich in den asymmetrischen Kriegen des neuen Jahrhunderts fortgesetzt: Aus dem materiell weit Überlegenen kann schnell der Unterlegene werden. Den Feind, gegen dem man massive Luftschläge, anhaltendes Artilleriefeuer, gepanzerte Vorstöße einsetzen könnte, gibt es in Afghanistan nicht. Die vielen Feinde, die Bombenleger und Panzerfaust-Partisanen, tauchen auf und verschwinden wieder. Ihnen wäre militärisch am ehesten mit ortskundigen Spezialeinsatzkräften beizukommen und nicht unbedingt mit einer Strategie der ausgedehnten Patrouillen von festen Plätzen aus.

Ein erheblicher Teil des westlichen Militärs am Hindukusch aber operiert so wie damals die Kavallerie im Indianerland: Es gibt große Forts in Kundus oder Bagram, angefüllt mit viel Material und Fahrzeugen, deren Selbstschutz manchmal mehr Kraft in Anspruch nimmt als jede andere Operation. Auch das erinnert an Vietnam: Die Städte "gehörten" bis zu einem gewissen Grad den Amerikanern und den Südvietnamesen, die man, wie jetzt die Afghanen, immer besser ausbilden wollte. Das Hinterland und die Hügel blieben Vietcong-Gebiet.

30.000 Amerikaner mehr in Afghanistan werden wohl in erster Linie die Städte und die Forts sicherer machen. Das Hinterland und die Hügel bleiben den Panzerfaust-Partisanen.

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