Obamas Nahost-Strategie:Der Präsident der guten Absicht

Barack Obama will auch in Nahost alles anders machen als sein Vorgänger. Der einstige Hoffnungsträger scheitert bisher jedoch: Weil er die entscheidende Frage nicht stellt - und sein Augenmerk auf Nebensächlichkeiten legt.

von Joschka Fischer

Joschka Fischer, 62, war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister und Vizekanzler. Er schreibt exklusiv für Project Syndicate und die Süddeutsche Zeitung.

Joschka Fischer

Barack Obamas Nahost-Strategie hat einen zentralen Fehler, findet der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer: Der amerikanische Präsident vergesse, die zentrale Frage zu stellen.

(Foto: dpa)

Zwei Jahre ist es nun her, dass Barack Obama zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt worden ist. Und es ist ihm hoch anzurechnen, dass er, ganz anders als sein unmittelbarer Amtsvorgänger, von Beginn seiner Amtszeit an versucht hat, den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zu lösen.

Allerdings: Die gute Absicht zählt wenig im wirklichen Leben, und noch weniger in der Politik. Dort kommt es vor allem auf Ergebnisse an. George W. Bush, der Vorgänger, war von Anfang an der Meinung, dass er nur den einen Teil der amerikanischen Doppelrolle im Nahostkonflikt wahrnehmen sollte, nämlich die Allianz mit Israel. Von der zweiten Rolle der USA im Nahen Osten, nämlich der entscheidende Vermittler eines Friedens zwischen Israelis und den Palästinensern zu sein, hielt er während all der acht Jahre im Amt nichts. Alle seine Initiativen dienten immer nur der Beruhigung der internationalen Öffentlichkeit. Und das Ergebnis ist bekannt.

Obama wollte dies von Anfang an anders machen, aber heute muss man feststellen, dass sich das Ergebnis seiner Politik nicht allzu sehr von dem seines Amtsvorgängers zu unterscheiden scheint. Denn beide Male siegte der Stillstand über den Fortschritt.

Es wäre für Außenstehende eine fast schon natürliche Reaktion, sich angesichts dieser Lage und der Sturheit beider Konfliktparteien auf die Haltung zurückzuziehen, dass man den Nahostkonflikt besser vergessen sollte. Aber so einfach ist die Lage nicht, denn eine Fortsetzung des Konflikts (und darauf liefe ein "Vergessen" hinaus) wäre für die Region viel zu gefährlich und würde eine fortdauernde Tragödie für Palästinenser und Israelis gleichermaßen bedeuten. Vor allem aber besteht die Gefahr, dass sich das Fenster für eine Zwei-Staaten-Lösung in den kommenden zwei Jahren für immer schließen wird, weil die Realitäten diese dann nicht mehr zulassen werden.

Die neue globale Machtverteilung

Für Israel hieße das, auf Dauer mit einer Ein-Staaten-Realität fertig werden zu müssen, welche die demokratischen und rechtsstaatlichen Fundamente des Staates und damit seine Legitimation erodieren ließe. Zudem muss es mit einer arabischen Bevölkerungsmehrheit innerhalb seiner Grenzen rechnen. Auf mittlere Sicht ist eine solche Entwicklung deshalb die größte Bedrohung Israels.

Israel ist aufgrund seiner ureigensten Interessen auf eine Zwei-Staaten-Lösung angewiesen. Gewiss, aus israelischer Sicht ist der Status quo alles andere als negativ, aber dieser Status quo wird nicht von Dauer sein, wie auch die Drohungen der Hamas von vergangenem Sonntag wieder verdeutlichen. Zudem verschlechtert sich die strategische Situation des Landes mit jedem weiteren Jahr, das ins Land geht. Denn die globale Neuverteilung von Macht und Einfluss zu Lasten des Westens und zu Gunsten Asiens wird Israels Position nicht stärken, sondern schwächen.

Für die Palästinenser ist die Lage anhaltend bedrückend, und für die Bewohner von Gaza ein humanitäres Desaster. Der Verlust einer Zwei-Staaten-Perspektive würde eine schier endlose Fortsetzung ihrer Misere bedeuten: intern in ein Fatah-Gebiet (Westjordanland) und ein Hamas-Gebiet (Gaza) gespalten, unter israelischer Besatzung in Ostjerusalem und dem Westjordanland, isoliert von der Außenwelt in Gaza, ohne Perspektive in den Flüchtlingslagern der Region und zurückgestoßen von ihren arabischen Nachbarn. Auch die Palästinenser sind daher wegen ihrer elementaren Interessen auf die Zwei-Staaten-Lösung angewiesen. Warum aber geht es dann nicht voran? Weil beide Seiten zwar von derselben Sache sprechen, zugleich aber etwas sehr Verschiedenes meinen.

Obamas zentraler Fehler

Für die Israelis steht Sicherheit an oberster Stelle, für die Palästinenser das Ende der Besatzung. Beides scheint sich angesichts der Realitäten am Boden auszuschließen. Israel kann sich ein zweites Gaza im Westjordanland und in Ostjerusalem nicht erlauben. Und für die Palästinenser wäre ein Staat bei anhaltender israelischer Militärpräsenz wertlos und eine endlose Fortdauer der Besatzung.

President Obama watches as Israeli Prime Minister Netanyahu and Palestinian President Abbas shake hands during a meeting in New York

Der Höhepunkt von Barack Obamas Friedensinitiative: Die Israelis und Palästinenser nehmen Gespräche miteinander auf - die aber zu keinen Ergebnissen führen.

(Foto: REUTERS)

Vielleicht war es der zentrale Fehler von Obamas Nahostinitiative, eine Nebensache - Stopp des Siedlungsbaus - zur Hauptsache gemacht zu haben. Ein unbefristeter Baustopp würde die Koalitionsregierung in Jerusalem sofort sprengen, ohne Premierminister Netanjahu irgendetwas Vorzeigbares für Neuwahlen in die Hand zu geben. Die entscheidende Frage, die ihm und Palästinenserpräsident Abbas durch die USA gestellt werden muss, lautet: Seid ihr bereit, hier und heute ernsthaft über den Endstatus zu verhandeln?

Der Ausweg aus dem nahöstlichen Irrgarten

Wenn ja, dann eröffnet sich ein Ausweg aus dem nahöstlichen Irrgarten. Denn der scheinbar unauflösliche Widerspruch zwischen Sicherheit und palästinensischem Staat lässt sich auflösen. Die Formel dazu könnte lauten: ein umfassender Vertrag über den Endstatus jetzt (unter Einschluss aller offenen Fragen inklusive Ostjerusalem als Hauptstadt Palästinas); die Umsetzung dieses Vertrages in definierten Schritten über einen längeren Zeitraum hinweg; die Überwachung dieser Umsetzung durch einen Mechanismus, der auf eine dritte Partei (angeführt von den USA) und deren Präsenz am Boden gründet.

Die Palästinenser hätten damit die Garantie über die Grenzen ihres Staates und seiner Hauptstadt, und ebenso über das definierte Ende der Besatzung. Sie könnten die Zeit nutzen, mit internationaler Hilfe wirksame Institutionen für ihren Staat aufzubauen, dessen wirtschaftliche Entwicklung anzupacken und auf dieser neuen, endgültigen Grundlage die Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas zu betreiben sowie eine Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge zu finden.

Israel hätte die Garantie, dass seine Sicherheit durch eine Vereinbarung über den Endstatus und durch eine palästinensische Staatsgründung nicht gefährdet würde, dass sein Abzug aus den palästinensischen Gebieten schrittweise und über Jahre hinweg erfolgen und durch eine dritte Partei am Boden überwacht würde. Das Land würde fortan über feste, international anerkannte Grenzen verfügen und könnte den Konflikt mit seinen arabischen Nachbarn dauerhaft beenden.

Die Lage im Nahen Osten sieht zwar hoffnungslos aus, aber ein neuer Versuch, der sich auf das Wesentliche und nicht auf Nebensächlichkeiten konzentriert, verdient jede Unterstützung. Die Alternative dazu ist der Verlust der Zwei-Staaten-Lösung und die Fortdauer dieses gleichermaßen tragischen wie gefährlichen Konflikts.

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